Die Psychologin Verena Schneider appelliert an Erwachsene, mit Kindern und Jugendlichen häufiger und unbefangener über Sexualität zu sprechen. Studien zeigten, dass Eltern, Lehrer und Betreuer zentrale Ansprechpartner für junge Menschen sind, um ein positives Verhältnis zu ihrer Sexualität zu bekommen. „Leider ist es so, dass Erwachsene Sexualität im Leben von Jugendlichen häufig eher problematisieren, als dass sie sie als eine positive Ressource wahrnehmen“, sagte Schneider dem Evangelischen Pressedienst.
Schneider arbeitet als Projekttherapeutin in der Ambulanz „180 Grad“ der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Das Präventionsprojekt wurde im September 2022 vom Arbeitsbereich Klinische Psychologie und Sexualmedizin der MHH gegründet. Es wendet sich an Jugendliche, die sexuelle Gewaltfantasien haben, die fürchten, ihre sexuellen Impulse nicht kontrollieren zu können, die durch sexualisierte Gewalt und Grenzverletzungen auffällig geworden sind oder sich zu Kindern hingezogen fühlen. Ziel ist es, sexuelle Übergriffe zu verhindern.
Jugendliche suchen sich Hilfe
Zurzeit befinden sich mehr als zehn Jugendliche in Behandlung, überwiegend Jungen. Während Jugendliche „mit einer Präferenz für das kindliche Körperschema“ sich bei der Ambulanz meist von allein meldeten, laufe der Kontakt zum Projekt bei Kindern, die bereits übergriffig geworden sind, in der Regel über Eltern, Lehrer oder das Jugendamt, sagte Schneider. „Jugendliche mit pädophiler Neigung spüren oft früh, dass sie andere sexuelle Fantasien haben als ihre Peergroup, aufgrund dieses Leidensdrucks suchen sie sich eher von sich aus Hilfe.“
Zwar sei es richtig, dass exzessiver Konsum von Pornografie bei manchen Jugendlichen ein Problem ist, Pornos seien aber in der Regel nicht ursächlich für sexualisierte Gewalt und sie zu verbieten nicht die Lösung, sagte Schneider. „Jugendliche werden immer einen Weg finden, Pornos zu schauen – und das ist erst mal auch nicht schlimm.“ Wichtig sei es, mit Jugendlichen darüber zu sprechen.
Kritik an Sexualkundeunterricht
„Es muss klar sein, dass pornografische Inhalte nicht der Realität entsprechen, dass dort falsche Körperbilder und Geschlechterstereotype gezeigt werden, die nichts mit der eigenen Sexualität zu tun haben müssen – etwa extrem muskulöse Männer mit sehr großem Penis, die immer die Kontrolle haben“, sagte die Therapeutin.
Kritische Selbstreflexion im Umgang mit Sexualität sei auch an Schulen nötig, sagte Schneider. Der Sexualkundeunterricht vermittle fast ausschließlich anatomisches und biologisches Wissen. Dabei sei es wichtig, auch über Erotik und Selbstbefriedigung zu sprechen, darüber, was Menschen erregt, sie zum Orgasmus bringt. Das Team von „180 Grad“ gehe deshalb auch in die Schulen und biete Lehrerinnen und Lehrern Fortbildungen an. „Wir müssen wirklich mehr und offener über Sexualität reden“, sagte Schneider.