BERLIN – Der Liedermacher Konstantin Wecker vermisst in der Flüchtlingsdebatte Persönlichkeiten wie die verstorbene evangelische Theologin Dorothee Sölle. „Heute fehlt Frau Sölle so unglaublich in der Flüchtlingsfrage“, sagte Wecker im Deutschlandfunk. Eine christliche Kirche müsse „radikal für eine Willkommenskultur“ sein. Er sei überzeugt, dass Sölle in dieser Frage radikal wäre und „eigentlich eine Revolutionärin“ gewesen sei, sagte Wecker, der bei seinen Konzerten und in seinem neuen Buch Dorothee Sölle (1929-2003) zitiert.
Das 1997 veröffentlichte Sölle-Buch „Mystik und Widerstand“ sei „eine Art Bibel für mich geworden“, sagte Wecker, der aus der Kirche ausgetreten ist. Sölle verbinde damit das politische Engagement mit der Spiritualität. Für ihn bedeute das: Jeder wirkliche Mystiker „muss ein Widerständler sein“ und könne „mit der Gesellschaft nicht klarkommen“, sagte der Musiker.
Dem widersprach Anselm Weyer, der kürzlich das Buch „Liturgie von Links“ über die politischen Nachtgebete von Dorothee Sölle in der Antoniterkirche in Köln zwischen 1968 und 1972 veröffentlicht hat.
Das Besondere an Sölles Widerstandsverständnis sei gewesen, dass ihr ein bloßes Nein nicht gereicht habe, sagte Weyer. Sie und die 68er-Bewegung hätten „sehr gute Alternativpläne für eine Welt, wie sie anders sein soll“ gehabt. Diese Form von Gemeinschaftswollen, die „einen Gestaltungswillen hat“, gebe es heute nicht mehr. Wenn man also heute sage, Sölle fehle, dann müsse man „selbst Dorothee Sölle werden“ und etwas wie ein Politisches Nachtgebet in die Kirche hineinbringen, sagte er zu Wecker.
Falls Sölle heute noch politische Nachtgebete veranstalten könnte, würde sie sich der Willkommenskultur und der wirtschaftlichen Ungerechtigkeit annehmen, sagte Wecker. Weyer verweis darauf, dass sie ihre letzten Nachtgebete zum Eine-Welt-Gedanken gemacht habe: Ländergrenzen seien zufällige Markierungen auf der Landkarte, und die Menschen müssten schauen, dass sie das „irgendwie miteinander organisieren“, fasste er zusammen.
Die Theologin und Autorin Dorothee Sölle verband Frömmigkeit mit politischem Engagement und mystische Spiritualität mit Widerstand. Die Autorin vielgelesener Bücher und Gedichte war wegen ihrer linken Positionen in der Kirche umstritten und focht heftige Konflikte mit den Kirchenleitungen aus. epd
Artikel teilen:
Selbst Dorothee Sölle werden
Der Liedermacher Konstantin Wecker vermisst in der Kirche eine Haltung wie die der streitbaren Theologin, die sich radikal gegen Ungerechtigkeit wandte

© epd-bild / Falk Orth