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Seit 60 Jahren tritt die Aktion Mensch für Inklusion ein

Peter Frankenfeld, Wim Thoelke: Die ZDF-Shows zu Gunsten der “Aktion Sorgenkind” gehören fest zur deutschen Fernsehgeschichte. 60 Jahre wird die Soziallotterie jetzt alt – als “Aktion Mensch” kämpft sie für Inklusion.

Helfen und gewinnen – so lautet die Devise bei der “Aktion Mensch”. Glückspilze, die mit Hilfe eines Glücksloses mehrere Hunderttausend Euro gewonnen haben; Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, die einen Zuschuss zum Kauf eines barrierefreien Busses bekommen: Solche Meldungen finden sich in fast jeder Tageszeitung. Die “Aktion Mensch” und ihre Soziallotterie haben einen hohen Bekanntheitsgrad.

Und das seit mittlerweile 60 Jahren. Denn die mit Abstand größte private Förderaktion im Sozialbereich feiert am 9. Oktober Geburtstag. Seit ihrer Gründung 1964 hat die “Aktion Mensch” mehr als fünf Milliarden Euro an soziale Projekte weitergegeben.

2023 war laut Geschäftsbericht ein sehr erfolgreiches Jahr: Rund vier Millionen Bundesbürger kauften Lose. Mit rund 585,9 Millionen Euro konnte die in Bonn angesiedelte Hilfsorganisation ihre Lotterieerlöse auf dem Rekordhoch des Vorjahres halten. Davon sind rund 218,5 Millionen Euro in 8.492 Projekte zur Inklusion behinderter Menschen geflossen. Gleichzeitig hatten 1,6 Millionen Menschen Glück mit ihrem Los: Über 175,8 Millionen Euro wurden als Gewinne ausgezahlt, 33 Mal sogar ein Millionengewinn.

Ins Leben gerufen wurde die Initiative 1964 als “Aktion Sorgenkind” von den sechs großen Wohlfahrtsverbänden und dem ZDF. Auslöser war der größte Arzneimittel-Skandal der Bundesrepublik: Durch das Schlafmittel Contergan kamen von 1957 bis 1962 rund 5.000 Kinder mit Fehlbildungen zu Welt.

Wesentlich zum Erfolg trug eine neuartige Verbindung von TV-Unterhaltung und Wohltätigkeit bei: Seit 1964 moderierte Quizmaster Peter Frankenfeld die ZDF-Sendung “Vergissmeinnicht”, die für die Lotterie warb. Auch die Nachfolge-Shows “3×9” und seit 1974 “Der Große Preis”, moderiert von Wim Thoelke, machten die “Aktion Sorgenkind” zum Markenzeichen.

Zu Beginn ging es um einen fürsorglichen Ansatz: Kindern mit Behinderung sollte geholfen werden, indem beispielsweise Heime, Tagesstätten oder Fahrzeuge gefördert wurden. Seit den 70er Jahren wurden auch Erwachsene unterstützt; dazu kamen Initiativen für Eltern behinderter Kinder.

Spätestens Mitte der 1990er Jahre wollten Menschen mit Behinderung indes nicht länger als “Sorgenkinder” betrachtet werden. Die Umbenennung in “Aktion Mensch” im Jahr 2000 trug dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung: “Ich will kein Mitleid, ich will Respekt”, so lautete die Devise. Ziel wurde Inklusion, also der selbstverständliche Umgang von Menschen mit und ohne Behinderung.

Und damit wurde die “Aktion Mensch” auch konkret politisch durch Kampagnen und Aktionen: So veröffentlichte die Initiative zuletzt Studien zur – häufig nicht vorhandenen – Barrierefreiheit von Spielplätzen und zur – in 80 Prozent vermissten – Nutzerfreundlichkeit von großen Online-Shops.

Auch das Förder-Angebot wurde weiterentwickelt – in Richtung digitaler Teilhabe und Nachhaltigkeit: So stellt die “Aktion Mensch” Geld bereit, um Menschen mit Behinderung als Beraterinnen und Berater auszubilden, die ihr Wissen über digitale Medien an andere weitergeben. Neu ist auch das Förderprogramm “Mobil mit Rad”, das die Anschaffung oder Miete von speziell gefertigten Fahrrädern unterstützt.

Für die “Aktion Mensch” ist klar: Bei der Inklusion ist noch viel Luft nach oben. Bestätigt sieht sich die Initiative dabei von einem im März veröffentlichten Bericht der OECD, nach dem Deutschland bei der Gleichstellung im internationalen Bereich im Rückstand ist. Bei Bildung, Arbeit und Wohnen verhinderten Sonderstrukturen, dass Menschen mit Behinderung selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen könnten, erklärte die Organisation und verwies auf Förderschulen, große Wohneinrichtungen oder Werkstätten.

Aktuell wichtig ist aus Sicht der Hilfsorganisation, dass die Bundesregierung die Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes auf den Weg bringt. Künftig sollen auch private Anbieter wie Geschäfte, Kinos und Arztpraxen verpflichtet werden, Barrieren abzubauen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat eine baldige Reform versprochen.

Reagieren musste die “Aktion Mensch” auch auf veränderte Bedingungen für Lotterien in Deutschland. Mit dem Internet hat der Wettbewerb unterschiedlicher Glücksspielangebote stark zugenommen. Zugleich sind die traditionellen Erlöse der “Aktion Mensch” über Banken, Sparkassen und Postwurf dramatisch gesunken. Dass Gutscheine für Lose auch bei Tankstellen, Drogeriemärkten oder im Lebensmittelhandel zu kaufen sind, missfiel den Aufsichtsbehörden, die die Suchtgefahr von Glücksspiel eindämmen wollen. Gerichte haben Grünes Licht dafür gegeben. Die meisten Lose verkauft die “Aktion Mensch” aber mittlerweile über ihren eigenen Internetauftritt.