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Sein Totenbett hätte überlebt

Am Ende ist dem Pfarrer der Kragen geplatzt: Jahrelang musste er mitansehen, wie die Leute in Luthers Eislebener Sterbehaus strömten und sich Splitter für Splitter vom Totenbett des Reformators abbrachen, weil sie sich davon Heilung ihrer Zahnschmerzen versprachen. Schließlich – man schrieb der Überlieferung zufolge das Jahr 1707 – nahm er, was von dem Bett übrig war, und übergab es den Flammen. Vorbei die evangelische Reliquienverehrung. Jedenfalls für 150 Jahre.
Zu erleben, dass es dann erst richtig losging mit dem Lutherkult, ist dem Pfarrer erspart geblieben. Denn im Vergleich zu dem, was im 19. und 20. Jahrhundert noch kommen sollte, war der (Aber-)Glaube an die Macht der Holzsplitter doch nicht nur harmlos, sondern irgendwie auch nachvollziehbar: Was blieb den Leuten übrig in einer Zeit, als bei Zahnweh sonst nur der Schmied Hilfe versprach? Sie lebten eben vom Prinzip Hoffnung. Hatte das der Reformator nicht gelehrt?

Heute, kurz vor dem 500. Jahrestag des Wittenberger Thesenanschlags, scheint die evangelische Heiligenverehrung noch einmal zu neuem Leben erwacht zu sein. Objekte der Begierde sind etwa Lutherbonbons, -socken, -kaffee oder kleine Plastik-Luthers.
Aber immerhin: Dass Luthersocken gegen Fußpilz oder Lutherbonbons gegen Zahnschmerzen helfen würden – daran glaubt wohl auch der größte zeitgenössische Lutherverehrer nicht. Zum Glück. Die Aufklärung hat ihre Wirkung getan.
Damit hätte Luthers Sterbebett heute wohl auch bessere Chancen,  Pilgerstürme unversehrt zu überstehen, und der aufrecht protestantische Eislebener Pfarrer müsste nicht zum Streichholz greifen.