Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft für Afrika verkörperte ausgerechnet ein hagerer junger Mann mit Kinn- und Oberlippenbärtchen, der selbst auf der Höhe seiner Macht eher aussah wie ein Student. Doch Millionen seiner Anhänger galt der ehemalige Postbeamte als eine Art Prophet. Als erster Premierminister der Republik Kongo führte der vor 100 Jahren, am 2. Juli 1925 geborene Patrice Lumumba das riesige Land im Herzen Afrikas in die Unabhängigkeit von Belgien. Dabei dachten die Europäer gar nicht daran, die Macht tatsächlich abzugeben.
„Wenn man mit den Leuten über Lumumba spricht, glänzen die Augen“, berichtet der deutsch-französische Kulturwissenschaftler Julien Bobineau, der selbst im Kongo über den Politiker und dessen Nachwirkung für das Land geforscht hat. Nicht nur bei Themen wie Familienpolitik und Frauenförderung sei Lumumbas politisches Programm seiner Zeit vorausgewesen. Als einer der ersten afrikanischen Politiker sprach er sich klar dafür aus, Stammes- und Clan-Strukturen zu überwinden, während seine politischen Rivalen ihre Anhängerschaft jeweils aus bestimmten Ethnien rekrutierten.
Doch vor allem blieb Lumumba während seiner kurzen, schillernden Laufbahn als begnadeter Redner in Erinnerung. Sein Charisma brachte ihn bald an die Spitze der „Kongolesischen Nationalbewegung“, die die ersten Wahlen im Kongo gewinnen konnte.
Das Selbstbewusstsein des jungen Politikers bekam Belgiens König Baudouin zu spüren, als er zur Unabhängigkeitsfeier in die kongolesische Hauptstadt Léopoldville, das heutige Kinshasa, reiste und beim Festakt am 30. Juni 1960 selbstgefällig an die Wohltaten der europäischen Kolonialherren erinnerte.
Lumumba hielt eine kämpferische Gegenansprache, in der er an die Verbrechen und den Rassismus der Belgier erinnerte: „Wer kann vergessen, dass man zu einem Schwarzen ‘du’ sagte, allerdings nicht wie zu einem Freund, denn das respektvolle ‘Sie’ war allein den Weißen vorbehalten.“ Der Weg zur Freiheit habe mit Tränen, Blut und Menschenleben teuer bezahlt werden müssen: „Unsere Wunden sind noch zu frisch und zu schmerzhaft, als dass wir sie aus unserem Gedächtnis verjagen könnten.“
Der erste schwarze Premierminister übernahm ein Land, das denkbar schlecht auf die Unabhängigkeit vorbereitet war. Belgien hatte seine Kolonie in Afrika über Jahrzehnte so hemmungslos ausgeplündert wie wohl keine andere europäische Macht. Nach der Inbesitznahme war der sogenannte Kongo-Freistaat anfangs gar Privatbesitz des belgischen Königs Leopold II., der dort ein Schreckensregime etabliert hatte. Es gab auch 1960 keine funktionierende Infrastruktur, keine ausgebildete einheimische Elite. Die wirtschaftliche Macht lag unverändert in den Händen westlicher Bergbaukonzerne, die Streitkräfte des Kongo wurden ausschließlich von weißen Offizieren befehligt. Lumumba wollte das ändern.
Doch schon wenige Tage nach der Unabhängigkeit meuterten Soldaten, mit Unterstützung Belgiens sagte sich die rohstoffreiche Region Katanga vom Zentralstaat los, die weiße Minderheit verließ nach Übergriffen fluchtartig das Land, Belgien schickte Interventionstruppen. Schließlich entsandten auch die Vereinten Nationen Blauhelmsoldaten, um die „Kongo-Wirren“ zu entschärfen. Während Lumumba in die USA reiste und verzweifelt um Unterstützung für seinen jungen Staat bat, schmiedete auch die CIA längst Pläne zu seiner Ermordung.
Endgültig entglitt dem Premier die Macht, als sein langjähriger Weggefährte, der spätere Diktator Joseph Mobutu, auf die Seite der Belgier und der USA wechselte und einen Putsch organisierte. Lumumba wurde unter Arrest gestellt, stand zunächst aber weiter unter Schutz der UN. Dem legendären Auslandsreporter Peter Scholl-Latour gelang noch ein letztes Interview mit dem gestürzten Freiheitshelden. Vielleicht werde er seinem Land mit einem Opfertod den größeren Dienst erweisen, sagte Lumumba dem Deutschen: „Afrika braucht einen Märtyrer.“
Schließlich wurde Lumumba im Januar 1961 nach einem zweiten Fluchtversuch schwer gefoltert und erschossen, die Leiche des Politikers anschließend in einem Fass mit Säure aufgelöst. Als Trophäe schnitt ein an dem Mordkomplott beteiligter belgischer Polizeioffizier dem Toten mehrere Finger ab und brach Goldzähne aus Lumumbas Gebiss. Einen einzelnen Zahn konnte die belgische Regierung den Kindern des Politikers Jahrzehnte später aushändigen. Auf eine echte Aufarbeitung des Mordkomplotts durch Brüssel warten viele Menschen im Kongo bis heute.
Und auch Lumumbas Staat, die heutige Demokratische Republik Kongo, fand nie zu Stabilität und Frieden. Die Menschen in Afrika glaubten daran, dass eine ordentliche Beerdigung wichtig sei, damit ein Verstorbener seinen Frieden finde könne, sagt Julien Bobineau: „Viele Kongolesinnen und Kongolesen gehen davon aus, dass sein Geist bis heute durch das Land wandert.“ Diese Vorstellung sei Teil des Mythos um Lumumba, der bis heute anhalte. Die kurze Regierungszeit habe seinem Bild bei den Afrikanern nicht geschadet, eher im Gegenteil: Viele andere Freiheitshelden aus der Zeit um 1960 wandelten sich später zu Despoten und Kleptokraten.