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Schriftstellerin: Fragen Sie sich, ob Sie Ihre Nachbarn kennen

Seit der Corona-Pandemie wird viel über Einsamkeit gesprochen. Auch im neuesten Roman von Milena Michiko Flasar geht es um das soziale Miteinander. Die Autorin rät zu kritischer Selbstbefragung.

Milena Michiko Flasar (44), japanisch-österreichische Schriftstellerin, beobachtet ein erhöhtes Augenmerk für Einsamkeit. “Auch das Bewusstsein, etwas ändern zu müssen, ist da”, sagte sie am Donnerstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Ob daraus ein breiter Wandel entstehe, bleibe abzuwarten – sinnvoll sei in jedem Fall eine “‘kleine’ Wandlung”, im Alltag und im persönlichen Umgang.

Sie verwies auf eine ihrer Romanfiguren, die die anderen frage: “Kennen Sie Ihre Nachbarn?” Dies sei “eine der Kernfragen, die wir uns zu stellen haben”, betonte Flasar. “Damit ist nicht bloß der- oder diejenige gemeint, der oder die nebenan wohnt, sondern auch der Bäcker, unser Partner oder unsere Partnerin, der Teil von uns, der im Dunkeln liegt.” Oft genügten “schon kleine Gesten und Worte, um jemand anderem zu signalisieren, dass er nicht alleine ist.”

Einsamkeit sei ein Gefühl, dass jeder Mensch kenne, sagte die Autorin weiter. “Wir alle haben es schon einmal erlebt und wir alle sind mehr oder weniger davon erfüllt. Insofern ist Einsamkeit paradoxerweise nicht nur eine individuelle, sondern auch eine gemeinschaftliche Angelegenheit.” Die vielen Gesichter der Einsamkeit machten sie zu einem Thema, das die Gesellschaft als großes Ganzes betreffe: “Wo ein Einzelner einsam ist, ist es in gleichem Maße die Gesellschaft, die ihn umgibt.”

Es sei sinnvoll, eine “uns Menschen innewohnende existenzielle Einsamkeit” zu akzeptieren, sagte Flasar. Ebenso aber kenne jede und jeder die Sehnsucht nach Nähe und Verbindung. Menschen zu sagen, dass man sie brauche, sei “vielleicht der erste Schritt aus der Isolation” – auch wenn es schwerfalle.

Flasar wurde 1980 in Sankt Pölten geboren und lebt mit ihrer Familie in Wien. Ihre Romane “Ich nannte ihn Krawatte” und “Herr Kato spielt Familie” wurden mehrfach ausgezeichnet und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Für ihren Roman “Oben Erde, unten Himmel” (2023) erhält sie im Mai in Kassel den Evangelischen Buchpreis.