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Schicksalstag der Deutschen

Immer wieder hat der 9. November den Lauf dieses Landes verändert. Was wir daraus lernen können – und wofür wir heute einstehen müssen: eine Standortbestimmung

Der 9. November gilt als Schicksalstag der Deutschen. An diesem Tag hat sich in der neueren Geschichte der Lauf des Landes immer wieder entscheidend geändert. Der Mauerfall 1989 ist so ein Datum, zuvor die Novemberrevolution 1918, der Hitler-Ludendorff-Putsch 1923.

Aus all dem ragt der 9. November 1938 hervor: der Tag der Novemberpogrome („Reichskristallnacht“). Der Beginn der systematischen Ausgrenzung und Aussonderung, der akribisch geplante und technisch perfektionierten Ermordung von Millionen jüdischer Bürgerinnen und Bürger. Ein Sündenfall, der in seiner Bösartigkeit und Amoralität alles übersteigt, was bis dahin in der Welt geschehen war.
80 Jahre sind seit jenem 9. November vergangen. Und immer wieder taucht die Frage auf: Sollte damit nicht langsam mal Schluss sein? Mit einer Erinnerungs- und Schuldkultur, die Deutschland in Sack und Asche gehen lässt?

Die Antwort darauf kann nur lauten: Nein, im Gegenteil. Die aktuelle Lage der Gesellschaft in Deutschland zeigt, wie unverzichtbar es ist, sogar noch stärker als bisher ins Gewissen zu schreiben: Deutschland trägt eine Verantwortung. Dieses Land und seine Bürgerinnen und Bürger müssen die Wahrheit wachhalten – und sie aushalten. Das ist unser Auftrag. Unser Erbe aus der Geschichte. Wir müssen dafür sorgen, dass so etwas nicht noch einmal geschieht.

Da sind wir mitten in der aktuellen Lage. Stichworte: Rechtspopulismus und – ja, Gott sei’s geklagt – auch AfD.

Die Veränderung dieser Partei muss mittlerweile bei jedem anständigen Menschen die Alarmglocken läuten lassen. In ihrer Anfangszeit mag man die Positionen der AfD als falsch angesehen haben. Aber sie waren im Rahmen der demokratischen Meinungsfreiheit vertretbar. Euro-Skepsis, Schelte der „da oben“, populistische Besserwisserei, Betonung von „Heimat“, Begrenzung von Zuwanderung: So etwas muss man in einer Demokratie sagen dürfen, ohne dafür in die Nazi-Ecke geschoben zu werden. (An dieser Stelle sind in den vergangenen Jahren von der bürgerlichen Mitte Fehler gemacht worden, auch in den Kirchen.)

Die AfD ist kein einheitlicher Block. Ganz unterschiedliche Strömungen finden dort zusammen. Ihr gemeinsamer Nenner: Wir fühlen uns von den etablierten Parteien nicht vertreten. Das ist nicht per se schon böse.

Aber: Was im Moment von der Spitze der Partei zu hören ist, umspielt systematisch die Rote Linie: nationalsozialistische Sprache und Gedankengut. Unverblümt kehrt das Gift zurück. Das darf nicht sein. Wer dabeisteht, wenn schlimme Gedanken geäußert werden, macht sich mitschuldig, wenn Dunkel-Deutschland zurückkehrt.
Die AfD hat sich in ihrem gegenwärtigen Zustand unwählbar gemacht. Man mag sich nach einer Alternative für Deutschland sehnen. Diese Partei ist es nicht. Sie ist ein Affront gegen alles, wofür Deutschland stehen sollte: Wahrheit und Verantwortung.