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Scheidung – Wie Kinder vom Nestmodell profitieren können

Mama oder Papa? Nach einer Trennung müssen Kinder zwischen beiden Elternteilen pendeln. Oft kommt es zu Loyalitätskonflikten. Ein alternatives Sorgemodell will dem entgegensteuern.

Bei Trennung und Scheidung leiden Kinder besonders: Frühere gemeinsame Gewohnheiten gehen verloren. Die Familie lebt nicht mehr unter einem Dach. Einige Eltern erproben zur Regelung des Kindesumgangs nach einer Trennung deshalb das sogenannte Nestmodell: Das Kind bleibt nach der Trennung im gewohnten Elternhaus. Die Eltern betreuen das Kind dort abwechselnd.

US-Psychologen lobten das Nestmodell bereits in den 2010er Jahren als Variante einer “besseren Scheidung”. Sie biete Trennungskindern mehr Stabilität. Routinen blieben unverändert. Damit könnten sich Kinder leichter an die Trennung gewöhnen. Seitdem schwappt der Trend auch nach Europa über.

Traditionell gibt es in Deutschland zwei Möglichkeiten zum Umgang mit den Kindern nach einer Scheidung: Beim sogenannten Residenzmodell wohnen die Kinder bei einem Elternteil. Der andere besucht sie in regelmäßigen Abständen. Beim Wechselmodell leben die Kinder dagegen abwechselnd bei beiden Elternteilen. Oft werden die Modelle familiengerichtlich angeordnet, weil sie am ehesten den Bedürfnissen von erwerbstätigen Eltern entsprechen.

Für Kinder bringen beide Varianten oft Nachteile. “Sie stehen beim Residenzmodell und beim Wechselmodell räumlich zwischen beiden Elternteilen. Beziehungskonflikte werden dann oft auf die Kinder übertragen”, sagt Rechtsanwalt und Familienmediator Erich Kager aus München. Das aber führt zu Loyalitätskonflikten.

Das Nestmodell sieht Kager deshalb als attraktive Alternative. “Nicht die Kinder, sondern die Eltern müssen sich hier arrangieren”, so Kager. “Sie sind damit gezwungen, an ihren Problemen zu arbeiten.” Er empfiehlt ein Kinderkonto, das gemeinsam befüllt wird und von dem die Kosten für Miete, Essen und Kita bezahlt werden können. “In welchem Zyklus die Elternteile sich in der Betreuung abwechseln, spielt keine Rolle”, sagt Kager. “Wichtig ist, dass sie sich auf ein Modell einigen und neue Beziehungspartner mit einbeziehen.”

In der Praxis scheitert das Modell allerdings immer wieder, “an den Realitäten des Wohnungsmarktes, sehr hoher Mieten, der Nichtverfügbarkeit geeigneter Wohnungen in räumlicher Nähe”, sagt der Münchner Familientherapeut Jochen Rögelein. Nach der Trennung benötigen die Eltern beim Nestmodell drei Wohnungen. Finanziell sei das für viele nicht zu stemmen.

In der Umsetzung kommt es außerdem immer wieder zu Konflikten: Beim Nestmodell müssen die Eltern viele Entscheidungen gemeinsam treffen – weil das Kind nicht separat, sondern in einem gemeinsam genutzten Wohnraum betreut wird. “Kompliziert wird es, wenn ein neuer Partner oder sogar weitere Kinder hinzukommen”, sagt Rögelein. “In Patchworkfamilien fühlen sich Menschen oft vernachlässigt.” Der Familientherapeut rät deshalb vom Nestmodell ab.

Stattdessen empfiehlt Rögelein Familien in seiner Praxis meistens eine Form des Wechselmodells. Kinder sollten dazu in möglichst kurzen Abständen, täglich oder alle zwei Tage, von beiden Elternteilen betreut werden. Die Übergabe sollte außerdem nicht an der Haustür stattfinden, sondern integriert in den Tagesablauf, zum Beispiel nach der Schule oder vor dem Kindergarten. Entscheidend sei eine sichere Bindung der Kinder an die Eltern, aber auch eine sichere Bindung der Eltern an die Kinder, sowie “Disziplin und Aufgabenverteilung”, so Rögelein.

In einigen Fällen aber hat auch das Nestmodell Erfolg. “Eine Patchworkfamilie, die ich früher beriet, lebt seit mehr als 14 Jahren mit dem Nestmodell”, berichtet Kager. “Sie feiern bis heute gemeinsam Weihnachten.” Das Modell berge zwar Konfliktpotenzial. Indem sich Eltern mit ihren Konflikten auseinandersetzten, könnten sie Fehler in ihrer früheren Beziehung aber auch besser verarbeiten – und damit vermeiden, sie in neuen Beziehungen zu wiederholen. “Kinder könnten damit lernen, dass Konflikte und Trennungen zum Leben dazugehören”, sagt Kager.