Etwa 30 Zentimeter groß und aus massiver Bronze sind die Zwerge, die überall in der Breslauer Innenstadt zu sehen sind. Sie stehen vor Geschäften, Boutiquen und an öffentlichen Plätzen – Erinnerung an die kommunistische Zeit in Polen. Genauer gesagt sollen sie an den politischen Widerstand in Breslau in den 1980er Jahren erinnern. Während Lech Walesa in Danzig mit seiner Solidarnosc-Bewegung berühmt wurde, organisierte die „Orangene Revolution“ in Breslau den politischen Widerstand auf künstlerische, dadaistische Weise und kritisierte die Obrigkeit auf satirische Art mit orangenen Zwergenhüten und Happenings.
Breslau hat sich seitdem zu einer weltoffenen, toleranten Stadt entwickelt. Als europäische Kulturhauptstadt präsentierte sie sich im vergangenen Jahr. Eine weitere Besonderheit in der Innenstadt bildet das „Viertel des gegenseitigen Respekts“, eine Initiative der verschiedenen Religionsgemeinschaften in der Stadt: Juden, Katholiken, Orthodoxe und evangelische Christen leben hier eng zusammen. Janusz Witt, Mitgründer der Bonhoeffer-Gesellschaft in Breslau, organisiert Führungen durch die Altstadt und zeigt dabei, wie eng lutherische, polnisch-orthodoxe Kirche und die jüdische Synagoge kooperieren.
Die lutherische Gemeinde war auch die erste Zufluchtsstätte für Maryna Los aus Charkiv, als sie ihre ukrainische Heimat im aufflammenden Bürgerkrieg 2015 verlassen musste. Da ihre Vorfahren aus Polen kamen und sie in der Ukraine zur evangelischen Minderheit gehörte, war es für sie naheliegend, in Polen nach evangelischen Glaubensgeschwistern zu suchen. Sie halfen ihr dabei, Polnisch sprechen zu lernen sowie bei der Wohnungs- und Jobsuche.
Ganz anders war das bei Izajasz Techane Mesfin aus Äthiopien. Er kam vor über 30 Jahren als Student aus Afrika nach Polen. Dann wurde er abends in Breslau von Skinheads überfallen und schwer verletzt. Gerettet hat ihn eine polnische Familie. Sie pflegten ihn in der nahe gelegenen Wohnung und brachten ihn ins Krankenhaus. Heute arbeitet der äthiopische Christ für den Polnisch Ökumenischen Rat (PÖR) (siehe Kasten) und engagiert sich für Flüchtlinge. Er ist mittlerweile eingebürgert, spricht perfekt Polnisch und erzählt ohne Groll von dem Überfall vor 20 Jahren mit großer Wertschätzung für seine damaligen Retter.
Das politische Klima unter der gegenwärtigen Regierung gegenüber Fremden ist nicht sehr freundlich. Die christlichen Kirchen in Polen wollen dagegen angehen. „Unsere jetzige Regierung hat den Wahlkampf mit Ängsten vor Fremden geschürt und so die Wahlen gewonnen. Ich schäme mich dafür“, sagt Jerzy Samiec, leitender Bischof der evangelisch-augsburgischen Kirche in Polen.
Sieben Mitgliedskirchen des PÖR veröffentlichten gemeinsam mit Vertretern der katholischen Kirche ein geistliches Wort zur freundlichen Aufnahme von Geflüchteten in Polen als Zeichen gegen den medial geschürten Hass gegen Fremde. Sie berufen sich auf die Bibel, die voller Fluchtgeschichten ist. „Christen können die Schicksale der vor Bürgerkrieg, Gewalt und Verarmung Geflohenen nicht ignorieren. Christen in Europa sind nah beieinander, wenn sie sich der gemeinsamen, christlichen Werte vergewissern. Das Gebot der Nächstenliebe lädt ein zu tätigem Handeln: in Polen, Ungarn, Deutschland wie auch in Italien“, betonen sie in dem Papier.
Auch wenn die gesellschaftlichen und kulturellen Kontexte in den vier Ländern unterschiedlich sind, können positive Geschichten über Flucht und Geflüchtete erzählt werden. Für sie steht fest: Die Flüchtlingsfrage ist eine gesamteuropäische Frage. Alle Mitgliedsstaaten der EU müssen hier gemeinsam und solidarisch handeln nach ihren unterschiedlichen Möglichkeiten. Nationalistische Alleingänge sind nicht hilfreich und den Kirchen in Europa kommt eine besondere Vermittlungsaufgabe zu. Die kleine italienische Waldenserkirche nennt ihr gemeinschaftliches Engagement für Mittelmeerflüchtlinge „mediterranean hope“. Mit „humanitären Korridoren“ will sie besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen eine sichere Passage nach Italien ermöglichen.
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Scham über auf Zwergmaß geschrumpfte Toleranz
Polens Religionsgemeinschaften werben für offenen Umgang mit Fremden in Europa und setzen Zeichen. So in Breslau
