Artikel teilen:

„Schalter umlegen“

Hilfsorganisationen fordern grundlegenden Wandel: Weg vom „Katastrophenmodus“ hin zu langfristig wirksamen, strukturellen Entscheidungen

BONN – Mehrere deutsche Entwicklungshilfeorganisationen fordern einen grundlegenden Wan-del in der Flüchtlingspolitik der Europäischen Union. Die Verantwortlichen müssten endlich den Schalter umlegen, um „vom Katastrophenmodus zu strukturellen Entscheidungen“ zu kommen, sagte Danuta Sacher von terre des hommes in Bonn.
Mittelfristig müssten allein in Deutschland 800 000 bis eine Million Flüchtlinge integriert werden, ergänzte Thomas Gebauer von medico international. „Das ist mit den bisherigen Mitteln nicht zu schaffen.“ Notwendig sind den Angaben zufolge vermehrte Anstrengungen, um etwa angemessene Unterkünfte bereitzustellen, die medizinische Versorgung zu verbessern und den Zugang zu Sprachkursen zu erleichtern.
Zugleich appellierten die Helfer, die Ursachen von Flucht und Migration gezielter anzugehen. Der deutschen Entwicklungspolitik warf medico international schwere Versäumnisse vor. In Afrika und anderen Regionen trage das Entwicklungsministerium mit dazu bei, kleinbäuerliche Strukturen zu zerstören und in „agroindustrielle Komplexe“ zu verwandeln. Damit verlören erneut Abertausende Menschen ihre Lebensgrundlage und neue Flüchtlingsströme seien vorprogrammiert.
Die Vertreterin der Kindernothilfe, Angelika Böhling, betonte, dass sich schon jetzt weltweit rund 60 Millionen Menschen auf der Flucht befinden; schätzungsweise vier Millionen hätten ihre Heimat aufgrund des Bürgerkriegs in Syrien verloren, die Hälfte davon seien Jugendliche. Im Nahen Osten drohe eine verlorene Generation heranzuwachsen, die schwer traumatisiert und mit bestenfalls mangelnder Schulbildung keine Zukunftsperspektive sehe, mahnte Böhling.
Zwar schulterten Anrainerstaaten wie der Libanon die weitaus größte Last bei der Aufnahme der Syrien-Flüchtlinge, überließen die Betroffenen nach ihrer Ankunft jedoch weitgehend ihrem Schicksal.
Böhling forderte eine „nationale Strategie“ für den Libanon unter Beteiligung von Politik und Zivilgesellschaft. Außerdem müsse mehr Geld aus Europa für die Bewältigung der Krisen und ihrer Folgen in die Länder des Nahen Ostens fließen.
Die Sprecherin der Welthungerhilfe, Simone Pott, betonte, dass die Flüchtlingsströme auch die Helferinnen und Helfer an die Grenzen ihrer Kapazitäten brächten. Viele Organisationen befänden sich „an dem Rand dessen, was man im Rahmen von Projekten leisten kann“.
Die Hilfsorganisationen Terre des homes, medico international, Kindernothilfe und Welthungerhilfe gehören zum „Bündnis Entwicklung Hilft“, dem sich auch die beiden kirchlichen Hilfswerke Misereor und „Brot für die Welt“ angeschlossen haben. Aktuell ruft das Bündnis gemeinsam mit der ARD zu Spenden für die Flüchtlingshilfe auf. KNA