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Sauregurkenzeit in ganz Europa

Der Germanist und Sprichwort-Experte Rolf-Bernhard Essig kennt sich aus mit Redensarten. Er ist Autor mehrerer Bücher über Sprichwörter: „Wie die Kuh aufs Eis kam“ oder „Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt“. Er kuratierte erfolgreiche Ausstellungen wie „Mein Name ist Hase“ oder die Ausstellung über das Fluchen, „Potz! Blitz!“, die zurzeit in Nürnberg im Museum für Kommunikation zu sehen ist. Außerdem hat der Bamberger eine Radio-Kolumne mit dem Titel „Alles in Butter oder alles Essig?“. In einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erklärt der Mann mit dem sauren Namen die Sauregurkenzeit, über die im Sommer immer wieder geklagt wird.

epd: Herr Essig, wo kommt der Begriff „Sauregurkenzeit“ nach Ihrer Kenntnis her?

Rolf-Bernhard Essig: Eindeutig und wissenschaftlich klar beweisbar kommt die sprichwörtliche Redensart von der Sauregurkenzeit aus der Kaufmanns-, Händler- und Handwerkssprache. Dafür spricht vor allem die europaweite Verwendung ähnlicher Redensarten mit Gurkenzeiten. In Deutschland finden diese sich seit etwa 1800. In einem Brief Carl Friedrich Zelters an Johann Wolfgang Goethe vom 19.7.1828 wird explizit die Herkunft aus der Kaufmannssprache erwähnt: „Hier zu Lande geht es eben etwas mager her; die Kaufleute nennen’s die Sauregurkenzeit.“

Im Englischen ist um etwa 1800 von der „cucumber time“ die Rede, im Dänischen die „agurketid“, ähnlich im Isländischen, Norwegischen, Tschechischen, Slowakischen, Polnischen, Ungarischen, Estnischen, Kroatischen und darüber hinaus sogar im Neuhebräischen.

Immer beschreiben die Redensarten die Sommerzeit als Zeit geringer Geschäftsmöglichkeiten, weniger Zeitungsnachrichten wegen Parlamentsferien, sowie überhaupt einer Ereignislosigkeit wegen der allgemeinen Sommerferien. Es ist schlicht die Zeit, in der Einmachgurken geerntet und haltbar gemacht werden, was mit der Ferien- und Sommerzeit zusammenfällt, in der nichts los ist.

epd: Immer wieder hört man, der Begriff könnte jüdische Wurzeln haben. Stimmt das?

Essig: Eindeutig nein! Die vielfach zu lesenden Behauptungen eines hebräischen Ursprungs, „zarót“ und „jakrút“ für „Not“ und „Teuerung“, was über das Jiddische und Rotwelsche in die deutsche Alltagssprache gewandert sein soll und volksetymologisch in Sauregurkenzeit umgewandelt worden sei, ist schon durch die europäischen Beispiele ad absurdum geführt. Wenn man darüber hinaus noch ein Ausschlusskriterium bräuchte, wäre es die sehr unwahrscheinliche Verwandlung von „zóress und jókresszeit“ aus dem Jiddischen in „Sauregurkenzeit“ einerseits, die vollkommen andere Bedeutung „Zeit der Not und Teuerung“ andererseits.

epd: Bemerken Sie persönlich, als Zeitungsleser und Mediennutzer eine solche Sauregurkenzeit?

Essig: Aktuell nicht, denn dieser August so voller Nachrichten wie selten, politisch, sozial, sportlich, sogar kulturell: ob Nahostkonflikt, US-Wahlkampf, Haushaltsprobleme, Rechtsradikalität, Wahlen in Ostdeutschland und mehr. Ansonsten bemerke ich es durchaus gerade auch daran, dass eine solche nicht akute, ein wenig nebensächliche, aber doch interessante Interviewanfrage wie Ihre gerade in der Sauregurkenzeit bei mir aufploppt. (01/2427/13.08.2024)