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„Sag nein!“ – er wusste, warum

Vor 70 Jahren starb der Dichter der Heimkehrergeneration, Wolfgang Borchert. Einen Tag nach seinem Tod wurde in Hamburg sein bekanntestes Stück uraufgeführt, sein Drama „Draußen vor der Tür“

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Mit seinem Drama „Draußen vor der Tür“ über das Elend der Kriegsheimkehrer spiegelte er die Seelenlage vieler Soldaten nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Der Dichter Wolfgang Borchert (1921-1947) wurde nur 26 Jahre alt. Er starb vor 70 Jahren, am 20. November 1947, während eines Klinikaufenthaltes in Basel an den Folgen von Krankheiten, die er sich als Soldat zugezogen hatte.
In Hamburg war er am 20. Mai 1921 zur Welt gekommen, als Sohn eines Volksschullehrers und einer Heimatschriftstellerin, deren plattdeutsche Erzählungen im Rundfunk zu hören waren. Die Eltern steckten ihn in eine Buchhändlerlehre, doch heimlich nahm er Schauspiel- und Tanzunterricht, gründete mehrere literarische Zirkel, präsentierte eines Tages zu Hause ein Engagement bei der Landesbühne Osthannover, einer Wanderbühne.
Wolfgang Borchert schrieb Gedichte und reagierte auf Kritik mit hochfahrender Arroganz: „Wir brauchen keine Dichter mit guter Grammatik. Zu guter Grammatik fehlt uns Geduld. Wir brauchen die mit dem heißen heiser geschluchzten Gefühl.“
Im Mai 1941 wurde er als Panzergrenadier einberufen. An der Ostfront begann Borchert, das Leid anderer Menschen wahrzunehmen und sich für politische Zusammenhänge zu interessieren. Im mörderischen russischen Winter entstanden in den katastrophal schlecht versorgten Stellungen nahe bei Moskau Erzählungen in einem ganz neuen, hektischen, atemlos das Entsetzen herausstammelnden Stil: „Das war ein Mensch, der im Schnee lag, verkrümmt, bäuchlings, uniformiert. Ein Bündel Lumpen. Ein lumpiges Bündel von Häutchen und Knöchelchen und Leder und Stoff. Schwarzrot überrieselt von angetrocknetem Blut. Sehr tote Haare, perückenartig tot.“
Im Sommer 1942 steht Borchert zum ersten Mal vor Gericht, unter anderem wegen „staatsgefährdender“ Äußerungen. „Für nichts und wieder nichts“ werde an der Front gestorben, hatte er erklärt. Der Ankläger beantragt die Todesstrafe, doch Borchert kommt mit sechs Wochen verschärfter Haft davon, „mit anschließender Frontbewährung“.
Er wird als Meldegänger eingesetzt, unbewaffnet. Mit erfrorenen Füßen und Verdacht auf Fleckfieber kommt er ins Seuchenlazarett. Krank wird er 1943 aus der Armee entlassen, parodiert als Kabarettist Joseph Goebbels, was ihn zunächst in Berlin-Moabit ins Gefängnis bringt, dann zur „Feindbewährung“ erneut an die Front.
Im Frühjahr 1945 fällt Borcherts Kompanie bei Frankfurt am Main den vorrückenden Franzosen in die Hände. Auf dem Weg in die Gefangenschaft springt er vom Lastwagen, wandert schwer krank 600 Kilometer weit durch Deutschland, kommt als Todgeweihter daheim in Hamburg an.
In seinen letzten Lebensmonaten schreibt der unbekannte junge Autor plötzlich Geschichten, Lyrik und ein Theaterstück, die in die Literaturgeschichte eingehen: Erinnerungen an Front und Kaserne, erschütternde Schilderungen des Nachkriegselends, bittere Liebesgeschichten und Momentaufnahmen des Seelenzustands einer verlorenen Generation. Kurzgeschichten wie „Nachts schlafen die Ratten doch“, „Die drei dunklen Könige“ und „Das Brot“ sind noch heute Schullektüre für Jugendliche, „Die Hundeblume“ spiegelt das Schicksal eines Gefangenen.

Vergebliche Frage nach Schuld und Sinn

In einer einzigen Woche entsteht das Heimkehrerdrama „Draußen vor der Tür“, die Geschichte vom Soldaten Beckmann, der im Krieg ein Bein verloren hat und vergeblich nach Schuld und Sinn fragt. Seine Frau hat einen neuen Partner, sein kleiner Sohn ist tot. Die Verantwortlichen von damals haben sich bereits wieder profitabel in der Gesellschaft eingerichtet und verdrängen, was gewesen ist. Und weder der Tod noch Gott wissen eine Antwort: „Ich bin der Gott, an den keiner mehr glaubt.“
Der Atheist Borchert lässt Beckmann zu Gott sagen: „Geh, alter Mann, sie haben dich in den Kirchen eingemauert, wir hören einander nicht mehr.“ Er sehnt sich nach einem Gott, der das Leid teilt: „Sei lebendig, sei mit uns lebendig, nachts, wenn es kalt ist, einsam und wenn der Magen knurrt in der Stille – dann sei mit uns lebendig, Gott.“
Am 20. November 1947 ist Wolfgang Borchert im Basler Clara-Spital gestorben, wo er zuvor zwei Monate lang behandelt worden war. Einen Tag später wird „Draußen vor der Tür“ an den Hamburger Kammerspielen uraufgeführt. Sein Grab liegt auf dem Parkfriedhof Hamburg-Ohlsdorf.
Sein letzter Text „Dann gibt es nur eins“ ist ein Manifest für den Frieden, bekannt aus Friedensgottesdiensten und -kundgebungen: Aufforderungen an Pfarrer, Mütter, Dorfbewohner, „nein“ zum Krieg zu sagen: „Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen – sondern Stahlhelme und Maschinengewehre, dann gibt es nur eins: Sag nein!“