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Saarländischer Verfassungsschutz verzeichnet mehr “Reichsbürger”

Die Zahl der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter, die die Bundesrepublik Deutschland ablehnen, ist im Saarland im vergangenen Jahr gestiegen. Im Kontext der multiplen Krisen hätten sie sich zunehmend aus der Deckung getraut, sagte Verfassungsschutzchef Ulrich Pohl am Mittwoch in Saarbrücken bei der Vorstellung des Lagebilds Verfassungsschutz 2022. Demnach stieg ihre Zahl von 140 im Jahr 2021 auf 180 im vergangenen Jahr. Soziale Medien und Messengerdienste sind laut Pohl die Grundlage für regionale Vernetzung, die im vergangenen Jahr zugenommen hat.

Wenn die „Reichsbürger“ sich mit Beschwerden an die Behörden wendeten, könne der Verfassungsschutz sie „personenscharf“ registrieren, erklärte der Leiter der Abteilung Verfassungsschutz im saarländischen Innenministerium. Mit anderen Behörden werde zusammengearbeitet, um denjenigen mit Waffenerlaubnis, diese zu entziehen.

Als „größte Gefahr für unsere freiheitlich demokratische Grundordnung“ bezeichnete Pohl den Rechtsextremismus. Zwar ist den Daten zufolge das sogenannte Personenpotenzial aus dem rechtsextremen Spektrum im Saarland von 330 im Jahr 2021 auf 310 im vergangenen Jahr zurückgegangen, jedoch nahm die Zahl der Straftaten im Vergleich zum Vorjahr um 67 auf 274 zu – darunter 18 Gewalttaten. Dabei habe es sich um Körperverletzung bis gefährliche Körperverletzung sowie einen versuchten Mord mit einem Messerangriff auf einen syrischen Staatsbürger gehandelt, erläuterte der Verfassungsschützer.

Insgesamt sei eine Individualisierung des Rechtsextremismus festzustellen, betonte er. Rechtsextreme Parteien spielten weniger eine Rolle, es habe einen Wandel zur Organisation in kleinen Netzwerken gegeben. Das Internet sei dabei das wichtigste Medium aufgrund von Reichweite, Anonymität und der Möglichkeit, Propaganda zu verbreiten. Die Zahl der antisemitischen Straftaten sei wiederum von 38 im Jahr 2021 auf 31 im vergangenen Jahr zurückgegangen. Der Großteil bestehe aus Volksverhetzung oder dem Zeigen verbotener Zeichen. Die Hälfte der Taten sei im Internet begangenen worden.

Beim Linksextremismus stellt der saarländische Verfassungsschutz einen Rückgang beim sogenannten Personenpotenzial im Vergleich zu 2021 um 35 auf 300 fest. Die Zahl der linksextremistisch motivierten Straftaten lag bei einer, 2021 waren es noch vier. Das Saarland sei damit im bundesrepublikanischen Vergleich ein Sonderfall, betonte Pohl.

Der sogenannte Ausländerextremismus ohne Islamismus verzeichnet seit 2020 konstant 440 Menschen. Die größten Gruppen bilden hier laut Pohl die „Arbeiterpartei Kurdistans“ PKK und rechtsextreme türkische Gruppen. Die Zahl der Straftaten liegt bei drei (2021: neun).

Mit Blick auf den Islamismus und islamistischen Terrorismus liegt der Arbeitsschwerpunkt des Verfassungsschutzes auf der frühzeitigen Erkennung von Radikalisierung und potenziellen Gefährdern, wie der saarländische Verfassungsschutzchef erläuterte. Das gesamte Personenpotenzial liegt dem Bericht zufolge wie 2021 bei 420, die Zahl der Straftaten bei zwei. „Wir dürfen uns hier nicht in falscher Sicherheit wiegen“, betonte Pohl. Terroristische Anschläge seien weiterhin jederzeit möglich, und Deutschland bleibe im Ziel des sogenannten Islamischen Staats. Zwar gebe es weniger Hinweise, jedoch seien diese qualitativ hochwertiger und zuverlässiger.

Generell betonte der saarländische Innenminister Reinhold Jost (SPD) die Gefahr von Desinformation und Cyberkriminalität durch fremde Staaten. Es gehe nicht nur darum, Meinungen zu manipulieren, sondern auch über gezielte Angriffe Infrastruktur lahmzulegen und damit Destabilisierung zu erzeugen.