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Rund jeder vierte Patient mangelernährt – Unterschätztes Risiko

Mangelernährung ist nicht nur in armen Weltregionen ein Problem, sondern auch in Deutschland. Die Folgen belasten Betroffene und das Gesundheitssystem. Dabei wären Gegenmaßnahmen laut Fachleuten einfach umzusetzen.

Bei einer Erkältung mal für drei Tage nur Hühnersuppe und Tee zu sich nehmen – das kennen wohl die meisten. Wenn aber ältere oder chronisch kranke Menschen dauerhaft weniger essen, ist das ein Alarmzeichen: Darauf wies der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin, Matthias Pirlich, am Dienstag hin. Auch ungewollter Gewichtsverlust und ein Abbau der Muskulatur sollten ernstgenommen werden.

Doch häufig werde Mangelernährung hierzulande übersehen oder nicht behandelt, beklagte Pirlich. Dabei betreffe sie 20 bis 30 Prozent der Patientinnen und Patienten in deutschen Kliniken. Der Ernährungsmediziner äußerte sich zur Aktionswoche gegen Mangelernährung (“Malnutrition Awareness Week”), die bis Freitag läuft.

Berechnungen zufolge könnten sich 55.000 Todesfälle jährlich vermeiden lassen, wenn individuell angepasste Ernährungstherapien an allen Kliniken verankert würden, sagte der Experte. Sinnvoll sei es, Menschen am Tag ihrer Aufnahme einen entsprechenden Fragebogen ausfüllen zu lassen – und Fachleute hinzuzuziehen, sobald eine Mangelernährung festgestellt werde. Manche Betroffenen bräuchten einen Ernährungsplan, andere müssten beispielsweise intravenös versorgt werden. Bleibe dies aus, steige das Risiko für Infektionen und Behandlungskomplikationen; Selbstständigkeit drohe verloren zu gehen.

Der Präsident der Fachgesellschaft, Gert Bischoff, sprach von einem “Armutszeugnis” für ein wohlhabendes Land wie Deutschland. Es gebe ausreichend qualifiziertes Fachpersonal, und spezielle Ernährungsteams einzusetzen, scheitere nicht am Willen der Krankenhäuser, sondern am Geld. Das Thema betreffe Pflegeheime ebenso.

Zwischen fünf und sechs Euro stehen für alle Mahlzeiten zur Verfügung, die ein Mensch pro Tag im Krankenhaus zu sich nimmt. “Eine gesunde, nachhaltige, ausgewogene Ernährung ist so nicht machbar”, kritisierte Bischoff.

Unter Kindern und Jugendlichen, die im Krankenhaus behandelt werden, sind 23 Prozent betroffen, hauptsächlich chronisch Erkrankte. “Sie sind in der Phase von Wachstum und Entwicklung, und dafür ist Ernährung eine wichtige Grundlage”, mahnte der Kinder- und Jugendmediziner Frank Jochum. Beispielsweise neurologische Erkrankungen könnten sich durch Unterernährung verschlechtern, die Gesundheit könne langfristig leiden. Insbesondere bei Frühgeborenen sei es wichtig, auf eine angemessene Ernährung zu achten, sagte Jochum, aber auch bei älteren Kindern, die dies beispielsweise nicht selbst kontrollieren könnten.

Das Problem verstärke sich für Kinder, um die sich nicht ausreichend gekümmert werde, sagte Jochum. Kinderarmut führe dagegen meist eher “in die andere Richtung”; Betroffene litten häufig unter ungesunder Ernährung, Übergewicht oder Adipositas. In diesem Zusammenhang spielten auch die Sozialen Medien eine ungute Rolle, sagte die Ernährungsmedizinerin Diana Rubin: Über 90 Prozent der Werbung auf TikTok und Co. beziehe sich auf ungesunde Lebensmittel.