Artikel teilen

Ruhig mal abschalten

Rezepte, Bastelanleitungen, Geschenkideen: All das suchen Menschen auch im Internet. An den Feiertagen können Smartphone und Co. dagegen laut Experten ruhig außen vor bleiben. Absprachen sind hilfreich

Weihnachtskarte zu spät abgeschickt? Schnell noch per Messenger frohe Festtage wünschen. Das Festmahl steht auf dem Tisch? Vor dem Essen gleich mal ein Foto hochladen. Ein Geschenk gefällt nicht? Kann man ja morgen bei eBay zum Weiterverkauf anbieten. – Die Digitalisierung hat auch die Advents- und Weihnachtszeit voll erfasst. Der Einfluss der Sozialen Medien macht sich auf verschiedene Art bemerkbar.
Die Bloggerin Victoria Biesterfeld bezeichnet sich selbst als Weihnachtsfan. Die Sozialen Medien seien „ein unglaublicher Motivator“, was die Ideen für weihnachtlichen Schmuck, Grußkarten und Geschenke angeht, sagt sie. Bei den Bilderdiensten Instagram und Pinterest fänden sich „unzählige Ideen, die gar nicht aufwendig oder kostspielig sein müssen, und trotzdem ganz viel hermachen“. Gerade zu Weihnachten hätten viele Menschen Lust, kreativ zu werden. Zugleich aber könne die „vermeintliche Perfektion“ im Netz den Einzelnen unter Druck setzen, so Biesterfeld.
Druck herrscht rund um die Festtage ohnehin, weiß Markus Wonka. Der Theologe und Psychologe leitet die Ehe-, Familien- und Lebensberatung (EFL) im Bistum Münster. Er verweist auf die zurückliegende Diskussion darüber, ob Geschäfte in diesem Jahr am Heiligabend, der auf einen Sonntag fällt, öffnen sollten. „Zeit für eine innere Vorbereitung bleibt oft nicht, sondern man geht erschöpft in die Feiertage.“

Die Stille früherer Zeiten ist verschwunden

Früher, so Wonka, hätte sich dann aber ab dem späteren Heiligabend eine gewisse Ruhe eingestellt. „Es kam keine Post mehr, es herrschte Stille, und man war mit den Menschen zusammen, mit denen man sich verabredet hatte. Das verursacht oft schon Konfliktstoff genug.“ Smartphone und Co. „weichen diese äußeren Grenzen auf: Die Geräte stehen nicht still.“ Das könne weiteren Konfliktstoff mit sich bringen.
Das sieht Iren Schulz, Mediencoach der Initiative „schau hin!“, ganz ähnlich. „Die Medien setzen keine zeitlichen oder inhaltlichen Grenzen mehr – also muss jeder für sich eine Grenze ziehen.“ Jeder Einzelne könne beispielsweise entscheiden, ob er rechtzeitig Postkarten auf den Weg schicke.
Zugleich könnten Medien eine besondere Verbindung schaffen, so Schulz. „Klassische Medien wie Märchen oder Kinofilme werden an Weihnachten genutzt, um gemeinsame Anlässe zu schaffen.“ So gehöre es für viele Familien zum Weihnachtsritual, etwa den Märchenfilm „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ gemeinsam anzusehen. „Auch Fotos zu machen, schöne Momente festzuhalten, ist etwas Positives“, sagt Schulz. Das gelte auch, wenn die ganze Familie vor dem Weihnachtsbaum eine Videobotschaft für einen kranken oder verreisten Verwandten aufnehme.
Also sind die Sozialen Medien doch mehr Chance als Gefahr für den Weihnachtsfrieden? Die Kirchen nutzen die neuen Kanäle etwa für einen digitalen Adventskalender oder um beispielsweise die Weihnachtsgeschichte  zu erzählen. Bloggerin Biesterfeld meint, es trage „zur allgemeinen festlichen Stimmung bei“, wenn der tägliche Blick aufs Handy einem jede Menge weihnachtliche Bilder beschert.
Generell sei es eine Herausforderung, „dass Erwartung und Realität an Weihnachten oft sehr weit auseinanderklaffen“, sagt Familienberater Wonka. Über Abläufe und eine besonders schöne, festliche und friedliche Stimmung herrschten bisweilen unterschiedliche Vorstellungen. Absprachen könnten helfen: „Man kann überlegen, wann Zeiten sein sollen, die der Familie vorbehalten sind – etwa Mahlzeiten oder be-stimmte Tage.“ Sich die Handynutzung gegenseitig über mehrere Tage zu untersagen, sei dagegen eher unrealistisch, so Wonka.

Handys und Co. können auch verbinden

Absprachen empfiehlt Medienexpertin Schulz auch für Fotos – insbesondere für Aufnahmen, die ins Netz gestellt werden. „Eltern haben eine Verantwortung für Bilder ihrer Kinder“, betont sie. Anfang November startete das Kinderhilfswerk eine Kampagne zum Schutz von Kindern im Netz. Viele Eltern teilten unüberlegt Fotos von Kindern über Soziale Netzwerke, hieß es. Laut Schulz sind Großeltern manchmal noch unkritischer als die jüngere Generation. „In der Familie sollte man daher Regeln für alle festlegen.“ In Familien mit Jugendlichen könnten die Tage zudem eine Gelegenheit bieten, sich in die Handynutzung einführen zu lassen, sagt Wonka: So könnten die Geräte zu einem verbindenden Element werden.
Auch gegen den Weihnachtsdruck lässt sich etwas unternehmen, sagt Biesterfeld. Wer das Gefühl hat, das eigene Weihnachtsfest werde nicht so durchgestylt wie in den Sozialen Medien, könne sich klarmachen, „dass Blogger und Stylisten auch nur Menschen sind, die sehr selektiv mit ihren Inhalten umgehen und selbstverständlich die verbrannten Weihnachtsplätzchen nicht im Internet posten“.
Wenn die Familienfeier unter der Suche nach schicken Motiven leide, könne der Vorsatz helfen, dass das Fest eine „Social-Media-freie Zone bleibt“. Mit einer solchen digitalen Auszeit könne man das Fest auch selbst mehr genießen, sagt die Bloggerin. Schulz sieht es ähnlich: „Es gibt so wenig bewusste Zeit mit der Familie, dass man diese Zeit durchaus genießen – und alles andere bewusst ausblenden kann. Die Weihnachtszeit bietet eine Chance, sich Freiräume jenseits der medialen Dauerkommunikation zu verschaffen.“