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Rüstung: Kirche leitet Zeitenwende ein

Die „Zeitenwende” und die Frage der Aufrüstung beschäftigt die Kirche. Neuerdings sucht sie Kontakt zur Rüstungsindustrie.

Der Segen für Soldaten ist unbestritten. Aber welche Haltung soll Kirche zu Aufrüstung und Waffenlieferungen einnehmen?
Der Segen für Soldaten ist unbestritten. Aber welche Haltung soll Kirche zu Aufrüstung und Waffenlieferungen einnehmen?epd-bild / Jens Schulze

Ähnlich wie große Teile von Politik und Gesellschaft scheint auch die Kirche eine „Zeitenwende“ bei der Frage nach der Aufrüstung zu vollziehen. Kürzlich haben sogar erstmals Vertreter der Rüstungsindustrie an einer friedensethischen Tagung in der Evangelischen Akademie Loccum teilgenommen.

„Das wäre früher undenkbar gewesen und schon im Vorfeld abgeräumt worden“, sagt Thomas Müller-Färber. Der Studienleiter der Akademie Loccum meint damit eine friedens­ethische Tagung zur Aufrüstungsdebatte, an der neben Kirchenleuten und erklärten Pazifisten zum ersten Mal in der Geschichte der Akademie auch Vertreter der Rüstungsindustrie teilgenommen haben. In der Kirche habe die Rüstungsindustrie bisher als rotes Tuch gegolten, sagt Müller-Färber. „Doch jetzt sehen selbst die pazifistisch orientierten Kräfte, dass es ohne Waffen nicht geht.“

Die Evangelischen Akademien, zu denen Loccum gehört, sollen gesellschaftliche Debatten in die Kirche tragen und den Dialog unter den beteiligten Gruppen stärken. „Wir erleben derzeit eine enorme Militarisierung des Diskurses, die angesichts der sicherheitspolitischen Lage notwendig ist“, sagt der Politikwissenschafter. „Wir sind aufgewacht und reden so viel über Waffen und Bedrohung, dass wir allerdings aufpassen müssen, nicht in Militarismus zu verfallen.“ Da sei die Kirche als Vermittler gefragt.

Sorge, ob sich alle Teilnehmer vertragen

Doch die Kirche, in der die Friedensbotschaft tief verankert sei, müsse angesichts der neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen erst selbst um neue ethische Orientierung und Sprachfähigkeit ringen. Auf allen Seiten habe es Zweifler gegeben, ob die Zeit für die Begegnung mit Vertretern der Rüstungsindustrie schon gekommen sei. „Wir hatten bei der Organisation Sorge, ob sich alle vertragen würden.“

Doch spätestens seit dem Ukraine-Krieg herrsche in der Kirche mehr Nachdenklichkeit und Offenheit bei der Frage nach der Bedeutung von Waffen. „Die radikaleren pazifistischen Kreise sind stiller geworden“, sagt Müller-Färber. Eine Mehrheit in der Kirche nehme Gewalt als letztes Mittel in Kauf, um Frieden und Gerechtigkeit zu erhalten. In der ethischen Diskussion sei jedoch zu klären, unter welchen Bedingungen Aufrüstung legitim sei und welche Kontrollen nötig seien. „Die Kirche muss das Gespräch mit der Rüstungswirtschaft suchen, um diese Logiken besser zu verstehen“, betont Müller-Färber.

Aufrüstung braucht Rüstungskontrolle

Den Impuls zur Tagung in Loccum hatte unter anderem Friedrich Kramer gegeben, der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland. Er hat eine zunehmend militaristische Sprache in der außen- und sicherheitspolitischen Diskussion wahrgenommen und gewarnt, dass Krieg zum Mittel der Politik werden könnte. Zugleich forderte Kramer eine aktivere Rüstungskontrolle.

Welche Ergebnisse die Tagung konkret habe, müsse sich erst zeigen, bilanziert Müller-Färber. „Es haben sich nicht alle Positionen in Wohlgefallen aufgelöst. Aber es gab eine Bewegung aufeinander zu und die Einsicht, dass man verteidigungsbereit sein muss.“