Die Abspaltung Kataloniens von Madrid bleibt das Ziel starker Parteien, auch wenn es zuletzt an Rückhalt verloren hat. Für Spaniens Ministerpräsident Sanchez könnte ein Erfolg seiner Sozialisten zum Pyrrhussieg werden.
Mit Spannung blickt Spanien den Wahlen in Katalonien am Sonntag entgegen. Denn kein Landesteil hat mehr Auswirkungen auf die landesweite Politik als die nach Unabhängigkeit strebende Mittelmeerregion im äußersten Nordwesten. Dies vor allem, weil die sozialistische Minderheitsregierung von Spaniens Ministerpräsident Pedro Sanchez seit über einem Jahr von den 14 Stimmen der beiden katalanischen Separatistenparteien Junts und Esquerra Republicana (ERC) im Madrider Parlament abhängt und bereits zahlreiche Zugeständnisse machen musste.
Allen voran die polarisierenden Amnestiegesetze, mit denen die Separatistenführer für ihr illegales Unabhängigkeitsreferendum von 2017 entlastet werden sollen. So beobachten nun Spaniens Parteien und die sozialistische Zentralregierung besorgt den voraussichtlichen Stimmenzuwachs für Separatistenführer Carles Puigdemont.
Auch wenn die katalanischen Sozialisten (PSC) als klare Wahlfavoriten am 12. Mai gelten, machte Puigdemonts Parteienallianz Junts im Endspurt Boden gut. Laut jüngsten Umfragen überholen die konservativ-bürgerlichen Separatisten sogar die bisher in Katalonien regierenden, ebenfalls separatistischen Linksrepublikaner der ERC von Regierungschef Pere Aragones und positionieren sich als zweitstärkste Partei.
Dieser Umstand könnte große Auswirkungen auf das politische und gesellschaftliche Zusammenleben in Spanien und Katalonien haben, sagte Politologe Oriol Bartomeus von der Autonomen Universität in Barcelona der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Denn im Gegensatz zu den Linksrepublikanern, die auf Dialog mit Madrid setzen, um ihre Unabhängigkeitsforderungen voranzubringen, setze Puigdemont auf Konfrontation.
Der ehemalige Ministerpräsident Kataloniens flüchtete nach dem von ihm organisierten verbotenen Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober 2017 vor der spanischen Justiz ins belgische “Exil” und sitzt heute für Junts im Europaparlament. Da ihm bei einer Rückkehr nach Spanien die Verhaftung droht, bestreitet er seinen Wahlkampf in der grenznahen französischen Gegend um Vallespir.
Seit über 15 Jahren bestimmen die Abspaltungsversuche der separatistischen Regierungen in der wirtschaftsstarken Region rund um Barcelona die politischen und gesellschaftlichen Debatten, welche die katalanische Bevölkerung zutiefst spalten. Doch das könnte sich ändern. Nicht ohne Grund gelten die Sozialisten des ehemaligen spanischen Gesundheitsministers Salvador Illa als Favoriten. Sieben Jahre nach dem gescheiterten Unabhängigkeitsreferendum sind die Separatisten mit ihren Forderungen so gut wie keinen Schritt vorangekommen. “Selbst die meisten Separatisten sind sich bewusst, dass die Unabhängigkeit auf kurze Sicht nicht zu erreichen ist. Deshalb werden andere Dinge zentraler”, sagte Lola Garcia, stellvertretende Chefredakteurin der größten katalanischen Tageszeitung “La Vanguardia”, der KNA.
Zwar ist das Thema Unabhängigkeit für viele Katalanen wichtig, aber nicht mehr vorrangig. Das zeigen auch jüngste Umfragen des katalanischen Meinungsforschungsinstituts CEO, wonach die Zahl der Unabhängigkeitsbefürworter auf einen historischen Tiefpunkt von 42 Prozent gesunken ist, während 51 Prozent der rund 8 Millionen Katalanen sich klar gegen die Abspaltung von Spanien aussprechen. Die Menschen haben andere Sorgen wie Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit, ein desolates Nahverkehrsnetz oder die Folgen der aktuellen Dürre.
So stellen selbst die Separatistenparteien erstmals seit Jahren Sozialpolitik und eine neue Finanzierung Kataloniens in den Fokus. Für Illa, der sich als spanischer Gesundheitsminister während der Corona-Pandemie einen Namen als Krisenmanager machte, spricht, dass er als persönlicher Freund und Parteikollege von Ministerpräsident Sanchez eher autonome Finanzierungsmodelle in Madrid aushandeln kann als die Separatisten.
Der 58-jährige Katalane gewann bereits 2021 die Regionalwahlen in Katalonien. Doch die beiden separatistischen Parteien bildeten eine Gegenkoalition und hielten sich so an der Macht. Diesmal dürfte der separatistische Block keine ausreichende Mehrheit bekommen, um erneut eine Gegenregierung auf die Beine zu stellen. Zumal der Machtstreit zwischen beiden Parteien und die ideologischen Unterschiede in der letzten Legislatur bereits zum Bruch der Koalition führten – und in den vorgezogenen Neuwahlen am Sonntag gipfeln.
Doch selbst bei einem Sieg der Sozialisten ist nicht klar, ob sie eine Regierungsmehrheit zustandebringen. Ein Sieg birgt zudem Gefahren: “Wenn weder Junts noch ERC in Katalonien regieren, haben sie keinen Grund mehr, die sozialistische Minderheitsregierung in Madrid zu unterstützen, was Neuwahlen in Spanien provozieren könnte”, meint Politologe Bartomeus.