Als Fortsetzung seiner historisch geprägten Landschafts- und Menschenerkundungen in Ost- und Mitteleuropa widmet sich der Dokumentarfilmer Volker Koepp Lebensstationen und Schriften des Autors Uwe Johnson (1934-1984) zwischen Mecklenburg, Leipzig und England. Der Schriftsteller, der die DDR als junger Mann verließ, aber in Westdeutschland nicht heimisch wurde, war ein Rastloser, in dessen Werken seine Ursprünge eine bleibende Rolle spielen. Koepp lässt den Schriftsteller in Schwarz-weiß-Archivaufnahmen wiederauferstehen. Darin liest der Autor, den man von Fotos immer nur mit der Pfeife im Mund kennt, mit extrem geschorener Kurzhaarfrisur und ironischer Distanz seinen eigenen Lebenslauf vor. Koepp sucht neben der englischen Kleinstadt auch die Orte in Mecklenburg auf, in denen Johnson gelebt hat.
Der sehenswerte Film über Erinnern, Verfehlungen und deutsche Schuld bietet eine spannende, auf annähernd drei Stunden gestreckt mitunter aber auch etwas ausufernde Reise durch Landschaften und die Historie. Das Grundthema von Johnsons Erkundungsfreude und Heimatlosigkeit bleibt dabei jedoch erhalten, zumal es mit dem generellen Konzept des Dokumentaristen stark übereinstimmt.
Uwe Johnson ging 1959 nach West-Berlin
Uwe Johnson war ein Solitär im deutschen Schriftstellerbetrieb. In der DDR, in der er als Jugendlicher aufwuchs, konnte er seine Sehnsucht nach neuen Eindrücken, Ideen und Reisezielen nicht verwirklichen. So ging er 1959 nach West-Berlin, lebte Ende der 1960er Jahre zwei Jahre in New York, starb aber 1984 in der englischen Küstenstadt Sheerness on Sea, wo er sich mit seiner Frau niedergelassen hatte. Sein Roman “Mutmaßungen über Jakob” ist heute ein moderner Klassiker.
In “Gehen und Bleiben” lässt Volker Koepp den Schriftsteller in Schwarz-weiß-Archivaufnahmen wieder auferstehen. Das RBB Fernsehen zeigt den Dokumentarfilm am 19. Juni ab 22.30 Uhr. Darin liest der Autor, den man von Fotos stets mit der Pfeife im Mund kennt, mit extrem geschorener Kurzhaarfrisur und ironischer Distanz seinen eigenen Lebenslauf vor.
Mecklenburg steht für die erste Lebenshälfte des Autors
Koepp sucht neben der englischen Kleinstadt auch die Orte in Mecklenburg auf, in denen Johnson gelebt hat. Mecklenburg steht für die erste Lebenshälfte des zwar in Pommern geborenen, aber in Anklam und Güstrow aufgewachsenen Autors. Er ist dort bis heute nicht vergessen, sei es von Weggefährten, Bekannten oder Nachbarn, die ihn direkt oder indirekt gekannt haben.
Aus ihren Aussagen und vor allem auch in seinen Schriften wird deutlich, wie wichtig Johnson seine mecklenburgische Herkunft war und wie sehr ihn als Kind auch die Kriegs- und unmittelbare Nachkriegszeit beeinflusst hat. Während er 1945 als Zehnjähriger von Kampfhandlungen verschont blieb, starben ältere Mitschüler als Kanonenfutter für die NS-Ideologie noch in den letzten Kriegstagen.
Verdrängung und Schuld
Der junge Johnson, der das NS-Gedankengut schnell hinter sich ließ, erkannte damals, wie mit der Niederlage Nazi-Deutschlands für manche Erwachsene eine Welt zusammenbrach. In seinem Opus Magnum, dem Romanzyklus “Jahrestage”, beschreibt er die Tragödie der Versenkung des ehemaligen Luxusdampfers Cap Arcona durch britische Flugzeuge. Dabei kamen Tausende Häftlinge aus dem KZ Neuengamme ums Leben; ihre Leichname trieben monatelang in der Ostsee.
Diese Begebenheit wird in “Gehen und Bleiben” ebenso thematisiert wie Verdrängung und Schuld. Die Rolle der Kirche in Güstrow zu NS-Zeiten kritisiert ein Pfarrer: 1937 wurde im dortigen Dom die Statue “Schwebender Engel” von Ernst Barlach als “Entartete Kunst” abgehängt. Johnson hatte sein Studium mit einer Arbeit über den Künstler abgeschlossen. Und so zeitigen Johnsons Schriften historische oder aktuelle Reflexionen, oder stellen Gebäude und Orte in Mecklenburg einen Bezug zu dem Schriftsteller her.
Johnsons Erkundungsfreude und Heimatlosigkeit
Der Schauspieler Peter Kurth stammt ebenfalls aus Güstrow, wo Johnson zur Schule ging. Zunächst berichtetet Kurth im Film von seiner eigenen Biografie, später liest er im Off aus den Werken von Johnson vor, darunter auch Passagen zur Cap Arcona. Dazu sieht man Bilder mecklenburgischer Landschaften mit ihren Seen und Feldern, die in ihrer Schönheit mitunter im Kontrast zu dem Vorgetragenen stehen.
Zuweilen schweift der Film mit Vorträgen über eine Burg oder vorneuzeitliche Geschichte auch ab; nicht alle Informationen lassen sich auf die Schnelle verarbeiten. Auch weiß man bei den Gesprächspartnern nicht immer, wer sie sind. Manche Bezüge zu Johnson muss man erschließen. Doch die Grundidee von Johnsons Erkundungsfreude und Heimatlosigkeit bleibt erhalten.
In seinen Gedanken und Schriften blieb er in Mecklenburg
Dass Johnsons Werk politische Systeme und Zensur überdauerte, bezeugt sein Einfluss auf Leser und Literaturwissenschaftler. Indem Koepp den Spuren des Schriftstellers nachgeht, wird auch er zum Reisenden durch Landschaften und eine Historie, die sich zu wiederholen scheint. Koepp nimmt zudem aktuelle Ereignisse auf und ergänzt sein Konzept wiederholt um spontane Elemente.
Am Ende schließt sich ein Kreis: in Sheerness on Sea, wo eine Plakette am ehemaligen Wohnhaus an Johnson erinnert. Physisch ging Johnson fort und kehrte nie wieder an die Orte seiner Jugend zurück. Doch in seinen Gedanken und Schriften blieb er in Mecklenburg und hielt dies für kommende Generationen fest.
“Gehen und Bleiben – Doku über Lebensstationen und Schriften des Autors Uwe Johnson”: Mittwoch, 19. Juni, 22.30 Uhr, RBB