Susie Faltermeier ist seit vier Jahrzehnten in ein und demselben Seniorenhaus beschäftigt. Sie hat ihren Berufsweg nie bereut. Dabei hatte sie einst andere Pläne.
Wer zu ihr will, muss vorbei an Dumbo, Aladdin und Mogli. “Das Dschungelbuch ist mein Lieblingsfilm von Disney, aber alle sind toll”, sagt Susie Faltermeier über die Bilder im Flur vor ihrem Büro. Die 59-Jährige ist Pflegedienstleiterin im Caritas-Seniorenheim Sankt Josef in Nürnberg-Langwasser. Just hat sie ein rares Jubiläum gefeiert: Seit 40 Jahren arbeitet Faltermeier im selben Haus. So lang an einem Ort zu wirken, ist heute ungewöhnlich, zumal in der Pflege. Wie es dazu kam, erzählt Faltermeier im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Sie spricht über Schönes und Schlimmes und das eine Mal, als sie gehen wollte.
KNA: Frau Faltermeier, wer an Altenheime denkt, denkt meist nicht an Märchen. Im Flur vor Ihrem Büro aber hängen Rapunzel, Bambi …
Faltermeier: … und Mogli natürlich! Ich liebe alle Disney-Filme, aber das Dschungelbuch am meisten. Das geht einfach ans Herz.
KNA: Haben Sie diese Traumwelten aufgehängt, um zwischendurch dem harten Joballtag zu entfliehen?
Faltermeier: Im Gegenteil! Ich liebe meine Arbeit und die Menschen in meinem Heim. Die Bilder sind Puzzles, die hat mir Helga Guenther geschenkt, eine liebe Bewohnerin. Sie wusste, dass ich Disney-Fan bin und puzzelt für ihr Leben gern. Und es werden immer mehr Motive. Unser Hausmeister hat Schienen an der Wand angebracht, die die Puzzles halten. Jetzt sind wir alle drei zufrieden.
KNA: Ist Zufriedenheit der Grund dafür, dass Sie seit 40 Jahren im selben Haus arbeiten?
Faltermeier: Der Menschen wegen tu ich das. Hier gibt es viele, die mir im Lauf der Jahre wichtig geworden sind, Kolleginnen und Kollegen, Bewohner und Ehrenamtliche. Viele meiner Kollegen sind auch schon Jahrzehnte hier. Wir wissen, dass unsere Arbeit wichtig und wertvoll ist. Wir können uns aufeinander verlassen und haben die gleichen Wertevorstellungen. Wir arbeiten gemeinsam dafür, dass es den Menschen hier gut geht.
KNA: Was war Ihr schönstes, was Ihr schlimmstes Erlebnis?
Faltermeier: Puh, das Schönste! Wirklich: Jeden Tag die Menschen hier zu treffen, das ist das Schönste. Und jeder Tag ist anders. Es gibt immer wieder Unvorhersehbares, das meine Planung über den Haufen wirft. Aber das macht’s auch spannend.
KNA: Und das Schlimmste?
Faltermeier: War Corona. So eine Zeit möchte ich nicht noch mal erleben. Die Isolation hat für die Bewohner so viele unwürdige Momente bedeutet. Ich war einmal bei einem Gespräch am Pfortenfenster dabei, damals hätte ich wirklich heulen können: Der Sohn stand mit Abstand draußen, die Mutter – schwersthörig – hat drinnen nichts verstanden. Ich musste ihr alles noch mal ins Ohr sagen, ganz private Dinge. Keine Möglichkeit für die beiden, sich zu berühren. Das war einfach unwürdig.
KNA: Corona war nicht absehbar. Haben Sie sich sonst Ihr Berufsleben so ausgemalt, wie es verlaufen ist?
Faltermeier: Eigentlich wollte ich Ärztin werden, schon seit der vierten Klasse. Dann verunglückte mein Vater, als ich 16 war. Zu Hause änderte sich viel. Ich hab dann beschlossen, für mich selber sorgen zu wollen. Bin kurz vor dem Abitur mit der Mittleren Reife vom Gymnasium runter, das Telefonbuch auf der Suche nach Ausbildungsplätzen durchgegangen und am Ende durch Zufall hier im Josefsheim gelandet. Schon beim Bewerbungsgespräch hab ich gemerkt: Das passt einfach. Ich durfte hier schon im Praktikum viel Verantwortung übernehmen. Das fand ich toll.
KNA: 40 Jahre später – wie haben sich Pflegeberuf und Heimleben verändert?
Faltermeier: Sehr stark. Früher bestand unsere Dokumentation aus einem Visiten-, einem Nachtwach- und einem Übergabebuch. Dazu die Karteikarten der Ärzte. Das reichte vollkommen aus. Heute dokumentieren wir viel zu viel. Quasi jedes berufliche Gespräch müsste dokumentiert werden, um hundertprozentig abgesichert zu sein. Das schaffst du gar nicht, das ist eine große Herausforderung. Das Traurige ist, dass unsere Arbeit oft an der Dokumentation gemessen wird und nicht am Pflegezustand und an der Zufriedenheit unserer Bewohner.
KNA: War früher alles besser?
Faltermeier: Es hat sich auch was gebessert. Heute gibt es viel mehr Angebote für die Bewohner: unter anderem musikalische Nachmittage, Sturzprävention und Cocktailwagen, die durchs Haus fahren. Nicht zu vergessen unsere tollen Feste! Das war früher viel weniger. Allerdings auch, weil die Leute jünger und fitter ins Heim gezogen und noch viel rausgegangen sind. Heute kommen sie oft erst, wenn sie pflegebedürftig sind. Gut ist es nicht: Wenn ich noch rüstig ins Heim komme, knüpfe ich leichter Kontakte, kann mich vielleicht noch besser einleben und am Ende eine erfülltere Zeit hier verbringen.
KNA: Sie gehen sacht auf die Rente zu. Können Sie sich ein Leben ohne “Ihr” Heim vorstellen?
Faltermeier: Also ich hab schon ein ausgefülltes Leben neben dem Heim: Ich habe meine Familie und tolle Freunde. Ich reise sehr gern, mache Line Dance, fotografiere und liebe es, Handball zu schauen. Also langweilig wird’s mir nicht. Aber ja, mir wird schon was fehlen. Weil das Sankt Josef wie ein zweites Zuhause ist und auch meine Familie eingebunden ist. Meine Tochter hat hier ein Praktikum gemacht, mein Sohn in der Corona-Zeit gearbeitet, mein Mann darf am Sommerfest hier grillen, meine Freundin fährt ehrenamtlich den Kioskwagen. Und die Oma meines Mannes, meine Oma und meine Mama haben hier gelebt.
KNA: Hadern Sie manchmal damit, nicht Ärztin geworden zu sein?
Faltermeier: Nein. Es hat alles so sollen sein.
KNA: Sankt Josef zu verlassen, stand also nie zur Debatte?
Faltermeier: Doch, einmal. 1992 entschied sich, dass die Führung des Hauses vom Orden der Niederbronner Schwestern an eine weltliche Leitung übergeben würde. Damals fürchtete ich, dass damit auch das Menschliche gehen würde und wirtschaftliche Dinge in den Vordergrund rücken würden. Ich hatte mich schon nach Umschulungen erkundigt. Schreinerin wollte ich werden – ich mag Holz. Zum Glück ist aber mit der neuen Geschäftsführung alles gut gegangen.
KNA: Würden Sie selbst ins Josefsheim ziehen?