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Putzaktion erinnert an Deserteure

80 Jahre nach Kriegsbeginn, am 1. September zum Weltfriedenstag, machten Schülerinnen und Schüler mitsamt ihrem Religionslehrer Wolfgang Rall einen Gedenkstein vor dem Friedenspark in Angermünde wieder gut sichtbar. Der Gedenkstein erinnert an drei Männer, die kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges als angeblich Fahnenflüchtige am Ast einer Eiche aufgehängt wurden

80 Jahre nach Kriegsbeginn machten Schülerinnen und Schüler einen Gedenkstein vor dem Friedenspark in Angermünde wieder gut sichtbarVon Uli Schulte DöinghausSo gut wie nichts ist über die jungen Männer bekannt. Kurt Walter Kumutatis wurde am 6. Dezember 1906 in Magdeburg geboren; Werner Gustav Heinebroth aus Halle/Saale am 23. Mai 1916 und Kurt Schütz kam am 30. März 1924 in Berlin zur Welt. Mehr ist nicht überliefert. Außer ihre Ermordung am 22. Februar 1945.Daran erinnern ein Stein und eine Informationstafel vor dem Friedenspark in Angermünde. Die drei Männer wurden als angeblich Fahnenflüchtige am Ast einer Eiche aufgehängt, der bis auf die Straße ragte. Danach wurden sie in einer nahegelegenen Kiesgrube verscharrt, nach Ende des Krieges exhumiert und bestattet.Sie waren Soldaten der Wehrmacht. Ihnen war vorgeworfen worden, Deserteure zu sein. Deshalb wurden sie von ihren eigenen Kameraden der „Division Schwedt“ aufgehängt. Bewohner des Ortes Angermünde wurden gedrängt, der Hinrichtung zuzuschauen. Das muss ein quälender und furchterregender Anblick gewesen sein. Die Leichen blieben noch eine ganze Woche lang dort hängen, wo viele vorbei mussten, wenn sie zum Bahnhof wollten. Dies war knapp zwei Monate vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges, der in Angermünde zu Ende ging, weil zwei couragierte Stadtbürger Ende April 1945 die Stadt kampflos an die Rote Armee übergaben.Auch daran erinnerten am vergangenen Sonntag, dem Weltfriedenstag, sieben Schülerinnen und Schüler aus Angermünder Oberschulen mitsamt ihrem Religionslehrer Wolfgang Rall. Sie nehmen am fakultativen Kurs „Religionsunterricht“ teil, in dessen Mittelpunkt stets Projekte stehen, zum Beispiel Putzaktionen am Denkmal für die Deserteure. Einmal im Jahr, immer rund um den 1. September, nehmen diese jungen, engagierten Oberstufenschülerinnen und -schüler Wurzelbürsten, Putzmittel, Wasser und Eimer zur Hand, um den Gedenkstein abschrubben und die Inschrift leserlich zu erhalten. „Die Toten mahnen die Lebenden“ ist auf dem mannshohen Feldstein zu lesen.Lina denkt, wenn sie über die Buchstaben schrubbt, besonders darüber nach, „dass die ermordeten jungen Männer an Seilen baumelten, mit denen Kinder spielten“. Und darüber, „dass ganz normale Menschen, die unsere Urgroßeltern gewesen sein könnten, aus Neugier diesem Spektakel zuschauten“. „Das Bild macht mir gedanklich sehr zu schaffen“, sagt Nick, der seine Freundin heute zu diesem freiwilligen Sonntagsdienst begleitet hat.

Radfahrer, Spaziergänger stoppen immer wieder. Sie fragen nach der ungewöhnlichen Aktion und kommen mit Schülern und Schülerinnen und ihrem Religionslehrer Wolfgang Rall ins Gespräch. Die Aktion, die er vor 16 Jahren begründet hat, ist im Gemeinwesen offenbar unumstritten. Alle Bürgerinnen und Bürger, die vorbei kommen, begrüßen die freiwillige Arbeit und unterstützen die Schülerinnen und Schüler. Regelmäßig schließen Lesungen die Aktion ab. Am vergangenen Sonntag lasen Schülerinnen zunächst den Songtext „Sag Nein“ von Konstantin Wecker vor. Anschließend den frechen und anklagenden Text „Der Deserteur“, der im Ersten Weltkrieg in Frankreich entstand: „Lebt euer Leben aus, ringt Furcht und Elend nieder, schießt nicht auf eure Brüder in dieser Erde Haus.“