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Prunk in Gold und Marmor

Die meisten Angehörigen der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ leben in den USA. Aber auch in Europa gibt es Gläubige. In Rom wird jetzt ein neuer Tempel nach zehnjähriger Bauzeit eingeweiht.

In einer heruntergekommenen Trabantenstadt am römischen Stadtrand stehen ein Mann und zwei Frauen an einer Bushaltestelle und schauen auf eine große, glänzende Goldfigur. Sie ragt auf einem Turm in die Höhe. Seltsam deplatziert wirkt sie dort, umgeben von einem großen Einkaufszentrum mit zwölf Kinosälen und einem Ikea-Möbelhaus. Turm und Figur gehören zum größten Mormonentempel Europas.
Der Mann, seine Freundin und deren Tochter, die sehr dick aufgetragenen rosa Lippenstift tragen, erzählen, dass sie noch nie in dem Tempel waren. Das riesige Gebäude erregt ihre Neugier. „Sie sind nicht katholisch, ich weiß nicht, was für eine Religion das ist“, sagt der Mann.
Auf einem sechs Hektar großen Gelände an der Via Bufalotta wird die „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ im März ihren größten Tempel in Europa einweihen. Bis Mitte Februar konnten Mitglieder der Glaubensgemeinschaft und andere Neugierige den riesigen Bau mit seinen künstlichen Wasserspielen inmitten mehrere Hundert Jahre alter Olivenbäume nebst Besucherzentrum und Gästehaus besuchen.
Die Figur auf dem Turm, so erfährt man später vom Besucherdienst, stellt den Engel Moroni dar. Er gilt als letzter Verfasser des „Buches Mormon“, das der Gründer der Religionsgemeinschaft, Joseph Smith, auf Moronis Hinweis hin 1827 gefunden haben soll. Die grundlegende Schrift der Mormonen beruft sich auf Jesus Christus und erzählt von der Besiedlung Amerikas. Mormon wird von den Gläubigen als Prophet verehrt. Bis heute leben die meisten Mormonen in den USA, vor allem in Utah.
Im Innern ziehen ältere Damen den Besuchern Plastiktüten über die Schuhe, damit sie die mit beigem Marmor und Teppich ausgelegten Räume nicht verunreinigen. Jonathan, ein 24-jähriger Italo-Amerikaner, ist einer von unzähligen freiwilligen Helfern, die Besucher derzeit durch den Tempel führen. „Wenn der Tempel erst einmal geweiht ist, ist er nicht mehr für die Öffentlichkeit zugänglich, denn es ist ein heiliger Ort“, erklärt er.
Wegen des großen Andrangs geht es im Schnelldurchgang durch die Räume. Fragen müssen sich die Gäste für das angrenzende Besucherzentrum aufheben, erklärt Jonathan sehr freundlich und lächelt so breit wie Menschen in einem Werbeclip.
Im Zentrum des Tempels steht das an einen Jacuzzi erinnernde Taufbecken mit blauen Kacheln, das von zwölf Rinderstatuen nach dem Vorbild der zwölf Apostel getragen wird. Wer Mitglied der Glaubensgemeinschaft werden wolle, müsse die Gebote der Gemeinschaft einhalten und werde dann getauft, erklärt Jonathan. „Auch diejenigen, die in anderen Kirchen getauft wurden“, fügt er hinzu.
Ein mehrsprachiges Video informiert Besucher des Tempels zunächst, dass sie hier auch ihre Vorfahren taufen lassen können. Denn familiäre Bande sind nach Überzeugung der Mitglieder ewig, daher sind Gläubige auch für das Seelenheil ihrer Vorfahren zuständig.
Um die Suche nach den eigenen Vorfahren zu erleichtern, unterzeichnete die „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“, die seit vergangenem Jahr nicht mehr Mormonen genannt werden möchte, sogar ein Abkommen mit dem italienischen Kulturministerium. Das Staatsarchiv stellt dafür mehr als hundert Jahre alte Dokumente zur Verfügung. Im Gegenzug sollen die Gläubigen die Daten digitalisieren und dem Staatsarchiv Zugriff darauf geben.
Neben einer der größten Moscheen in Europa verfügt Rom nun auch über den größten Mormonentempel des Kontinentes. In Konkurrenz zur katholischen Kirche will die Gemeinschaft sich aber nicht sehen. Nach eigenen Angaben hat die Gemeinschaft 25 000 Mitglieder in Italien. Seit 2012 ist sie vom italienischen Staat anerkannt.
Inmitten einer der vielen heruntergekommenen römischen Vorstädte soll der im Dunkeln strahlend erleuchtete 162. Tempel der Mormonen eine unbefleckte Insel bieten. Neben einer Begrünung des grauen Umfelds neben der Trabantenstadt mit verlassenen Wiesen, an deren Zäunen der Müll hängenbleibt, wollen die Mormonen auch soziale Projekte für Flüchtlinge unterstützen.
„Wenn ich diese Räume betrete, möchte ich jedes Staubkorn sofort aufsammeln und mich so rein wie möglich halten“, sagt Jonathan und lächelt wieder. In der Bar neben dem Tempel hofft man derweil, dass die Gläubigen für Aufschwung sorgen. „Sie sind sehr freundlich, wenn sie hierher zum Mittagessen kommen“, sagt die Frau hinter der Theke.
Nach der Freundlichkeit und Sauberkeit im Tempel holt die kleine Auto-Werkstatt neben der Bar mit ihren ölverschmierten Wänden den Besucher wieder zurück in den römischen Vorstadtalltag.