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Prozess gegen Salvini: Der Hardliner hat sein Thema wieder

Matteo Salvini hat sie wieder: die Aufmerksamkeit des ganzen Landes. Auf der Piazza Politeama im sizilianischen Palermo demonstrierten am Freitag bis zu 200 Lega-Anhänger und Abgeordnete der Partei. Etwa genauso viele Journalisten waren vor Ort. Die Parteikollegen des italienischen Vizepremiers und Verkehrsministers trugen T-Shirts, auf denen ein Fahndungsbild prangt, wie man es aus alten Western-Filmen kennt: Über dem Konterfei Salvinis steht „Schuldig“, darunter „Italien verteidigt zu haben“.

Etwa sechs Kilometer weiter hielt Salvinis Anwältin Giulia Bongiorno derweil im Gerichtssaal in Palermo ihr Plädoyer zu seiner Verteidigung. Sie fordert im Prozess um die Blockade des Seenotrettungsschiffs „Open Arms“ einen vollständigen Freispruch. Die Staatsanwaltschaft will ihn für sechs Jahre ins Gefängnis schicken.

„Ich bekenne mich schuldig, Italien und die Italiener verteidigt zu haben“, sagt Salvini seit Wochen immer und immer wieder. Das nahende Ende des Prozesses beschert ihm seit Langem wieder einmal Schlagzeilen.

Seit drei Jahren wird in Palermo verhandelt. Das Urteil soll laut Salvini am 20. Dezember fallen. Die Vorwürfe: Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauch. Im August 2019 hatte er, damals als Innenminister, dem NGO-Schiff „Open Arms“ die Einfahrt in den Hafen von Lampedusa verweigert. Bis zu 147 aus dem Mittelmeer gerettete Migranten harrten fast drei Wochen lang an Bord aus. Am 1. August hatte die „Open Arms“ zunächst 123 Menschen und später noch einmal 39 aus dem Mittelmeer gerettet.

Salvini gab den Hardliner, wollte andere EU-Staaten verpflichten, dem Schiff der gleichnamigen spanischen Organisation einen Hafen zur Anlandung bereitzustellen. Die Crew berichtete von unhaltbaren Zuständen an Bord des komplett überfüllten Schiffs. Manche der Migranten waren so verzweifelt, dass sie nach Wochen vollkommen entkräftet ins Wasser sprangen und versuchten, Lampedusa schwimmend zu erreichen. Immer wieder wurden medizinische Notfälle oder Minderjährige evakuiert. Am Ende hob die Staatsanwaltschaft von Agrigent das Anlegeverbot aus humanitären Gründen auf und ordnete an, die verbliebenen Flüchtlinge an Land zu bringen.

Die drohende Haftstrafe scheint nun paradoxerweise genau das zu sein, was Salvini noch einmal politisch retten könnte. Die Diskussion darüber rückt seine politisch erfolgreichsten Jahre wieder in die Gegenwart. Und er hat sein Thema wieder: Migration. Sogar den Hashtag #iostoconsalvini („Ich stehe hinter Salvini“), der schon längst in Vergessenheit geraten war, hat der Lega-Chef wiederbelebt – als Online-Petition, in der man seine Solidarität mit ihm ausdrücken soll. Fast 30.000 Menschen unterzeichneten bis Freitagnachmittag.

Salvini habe seine Entscheidung zur Festsetzung der Migranten aus politischen Kalkül getroffen, argumentierte die Staatsanwaltschaft im Prozess in Palermo. In ihrem Plädoyer warf Giulia Bongiorno nun umgekehrt „Open Arms“ politische Absichten vor: Ihre Handlungen hätten darauf gezielt, Salvini als Innenminister Italiens zu stürzen. Das Schiff habe tagelang „herumgebummelt, während es in 48 Stunden leicht einen spanischen Hafen hätte erreichen können“, sagte Bongiorno.

Klar ist: Der Fall spielte in einer politisch extrem angespannten Zeit. Im Juni 2018 war die Regierung von Ministerpräsident Giuseppe Conte mit einer Koalition aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega ins Amt gekommen – und Salvini wurde Innenminister. Während der Konflikt mit der „Open Arms“ lief, stellte Salvinis Lega wegen einer anderen Sache einen Misstrauensantrag gegen Conte. Mit dessen Rücktritt am 20. August 2019 platzte die Koalition – just an dem Tag, an dem die Migranten von der „Open Arms“ an Land gehen konnten. Salvini hatte mit Neuwahlen kalkuliert. Bei den Europawahlen wenige Wochen zuvor war die Lega mit 34 Prozent der Stimmen stärkste Kraft in Italien geworden. Doch Conte ging eine Koalition mit dem linken Partito Democratico ein.

Politisch haben sich die Lega und Salvini davon nicht mehr erholt. Salvinis juristische Irrungen und Wirrungen hätten nun den Effekt, „dass sie die Partei um ihren Vorsitzenden vereint“, sagt der Politikwissenschaftler Lorenzo De Sio dem Evangelischen Pressedienst (epd). Bei einer Verurteilung will Salvini Berufung einlegen. Bis zu einem Urteil in letzter Instanz könnten also noch einmal Jahre ins Land ziehen.