Fake-Interviews, zu reißerische Überschriften, bloßgestellte Menschen: Die freiwillige Selbstkontrolle der gedruckten Medien hatte im vergangenen Jahr viel zu tun – und stellte dabei besonders viele Verstöße fest.
Der Deutsche Presserat hat im vergangenen Jahr Redaktionen häufiger für Verstöße gegen den Pressekodex gerügt als je zuvor. 73 Mal verhängte das Gremium der freiwilligen Selbstkontrolle der gedruckten Medien und ihrer Online-Auftritte seine schärfste Sanktion, wie aus dem am Mittwoch in Berlin vorgestellten Jahresbericht des Presserats hervorgeht. 2022 hatte das Gremium nur 47 Rügen ausgesprochen, nach 60 im Jahr 2021 und 53 im Jahr 2020. Zur Berichterstattung über die Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine gab es dagegen keine Rügen.
Besonders häufig standen im vergangenen Jahr Verstöße gegen die journalistische Sorgfaltspflicht und den Persönlichkeitsschutz im Fokus. 22 Mal rügte der Presserat schwerwiegende Fehler in der Berichterstattung, mehr als doppelt so oft wie im Vorjahr. Dabei ging es etwa um zu reißerische Überschriften, Vorwürfe, zu denen Beschuldigte nicht Stellung nehmen konnten, oder nicht sorgfältig recherchierte Fakten. Verstöße gegen den Persönlichkeitsschutz wurden ebenfalls 22 Mal gerügt. Im Pressekodex sind ethische Standards für Journalisten formuliert.
Jeweils 11 Mal rügte der Presserat unangemessen sensationelle Artikel, etwa zu Gewalttaten oder Sexualdelikten, sowie Verstöße gegen die Menschenwürde und die Glaubwürdigkeit der Medien. Dies war beispielsweise der Fall, wenn Spekulationen in der Überschrift als Fakten angekündigt wurden oder ein Opfer unwürdig dargestellt wurde. Auch ein mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz gefälschtes Interview mit Ex-Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher fiel in diese Kategorie. Erstmals leicht zurück gingen hingegen schwere Verstöße gegen das Gebot der Trennung von Werbung und Redaktion (10 Rügen nach 14 Rügen im Vorjahr). Einzelne Berichte können auch für mehrere Verstöße gerügt werden.
Die Zahl der Beschwerden stieg nach deutlichen Rückgängen in den Vorjahren wieder an, von 1.733 auf 1.850 im vergangenen Jahr. Im Jahr des Beginns der Corona-Pandemie (2020) waren 4.085 Beschwerden eingegangen.
In 531 Fällen befassten sich 2023 die Beschwerdeausschüsse des Presserats mit den von Leserinnen und Lesern eingebrachten Anliegen. Das waren in etwa so viele wie 2020 (530) und mehr als 2022 (413). In anderen Fällen lehnte das Gremium Beschwerden ab, weil die beanstandeten Berichte ganz offensichtlich nicht gegen den Pressekodex verstießen oder weil sie sich gegen den Rundfunk richteten, für den der Presserat nicht zuständig ist.