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Präventionsexpertin: “Kulturwandel in der Kirche ist nicht nur nett”

Die Leiterin der Präventionsstelle der evangelischen Nordkirche, Katharina Seiler, fordert im Hinblick auf die Missbrauchsfälle in der Kirche einen Kulturwandel, der nicht nur „nett und hübsch“ ist. „Das bedeutet, dass wir uns auch von lieb gewonnenen Dingen verabschieden müssen“, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dazu könne ein Spiel in der Jugendarbeit gehören, bei dem Teamer und Jugendliche sich räumlich sehr nah kämen. Auch als zu machtvoll empfundene Gesten etwa beim Segnen in Gottesdiensten müssten eventuell überdacht werden.

Am 14. und 15. Februar referieren Seiler und der ehemalige Leiter der Präventionsstelle, Rainer Kluck, bei einer Tagung im Christan-Jensen-Kolleg in Breklum (Kreis Nordfriesland). Ein Jahr nach Veröffentlichung der ForuM-Studie zu sexueller Gewalt in der evangelischen Kirche soll dort über einen nötigen Kulturwandel zur Prävention von Missbrauch diskutiert werden.

Seiler bestätigte, dass mögliche Täter sexueller Übergriffe diffuse Nähe ausnutzen könnten. „Sie bahnen Übergriffe an, indem sie Grenzen verschieben und die Wahrnehmung der anderen verwirren“, erklärte sie. Es müsse deshalb in der Kirche offen diskutiert werden, wo die persönlichen Grenzen jedes einzelnen liegen und was genau sie verletzt. „Hier brauchen wir einen reflektierten Umgang. Wenn ich mir nicht sicher bin, ob eine Umarmung zum Trost oder als Unterstützung, kann ich nachfragen“, sagte Seiler.

Für einen nachhaltigen Kulturwandel brauche es immer wieder den Diskurs über Umgang und Regeln. Die Inhalte der ForuM-Studie würden deshalb auf Synodentagungen, Pröpstinnen- und Pastorenkonventen und in Gemeinden diskutiert. Neue Erkenntnisse aus der Studie sollen in die Evaluation des Präventionsgesetzes von 2018 einfließen.

Viele Schutzmaßnahmen wurden nach Angaben der Präventionsstelle bereits erarbeitet. So sind alle Pfarrpersonen und Beschäftigten der Nordkirche, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, seit 2018 zu einer Präventionsfortbildung gegen sexualisierte Gewalt verpflichtet. Das Abstinenzgebot verbietet sexuelle Kontakte von kirchlichen Mitarbeitenden zu Menschen, zu denen ein berufsbedingtes Abhängigkeits- oder Vertrauensverhältnis besteht.

Das Abstandsgebot fordert „die professionelle Balance von Nähe und Distanz“. Die Kirche verlangt zudem die Vorlage eines erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses von allen Haupt- und Ehrenamtlichen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Es ist alle fünf Jahre neu vorzulegen. Zu der Stabsstelle Prävention in Hamburg mit acht Stellen gibt es in allen 13 Kirchenkreisen Präventionsbeauftragte.

Bis zum 31.12.2024 hatten sich seit 2012 allein bei der Nordkirche 84 Menschen zur Anerkennung gemeldet, die von sexueller Gewalt in der Kirche betroffen sind. Davon stammen 77 aus der Landeskirche, sieben betreffen die Diakonie.