Der Politikwissenschaftler Simon Franzmann ist vom Wahlverhalten junger Menschen bei der Europawahl nicht überrascht. Die junge Generation versuche, in schwierigen Zeiten ihren eigenen Weg zu finden, sagte der Direktor des Instituts für Demokratieforschung an der Universität Göttingen dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Es war schon immer so, dass junge Leute von Parteien fasziniert sind, die nicht an der Regierung sind, die neuen Schwung versprechen.“ Franzmann ist Professor mit den Forschungsschwerpunkten Parteienwettbewerb, Populismus und Extremismus.
In der Gruppe der 16- bis 24-Jährigen wählten laut Forschungsgruppe Wahlen bei der Abstimmung am Sonntag jeweils 17 Prozent CDU und AfD, fast ein Drittel entschied sich für kleine Parteien. Die Europapartei Volt kam in dieser Altersgruppe auf acht Prozent.
Bindungen an etablierte Parteien existierten bei jungen Wählern naturgemäß nicht, sagte Franzmann: „Sie haben keinen Willy Brandt oder Helmut Kohl erlebt oder waren in Wackersdorf oder Gorleben protestieren – anders als bei ihrer Elterngeneration, die regiert.“ Drängende Themen für junge Menschen seien die Migration und die Frage, wie sich Europa für die Zukunft aufstellen muss.
Volt etwa sei als einzige echte europäische Partei eine Antwort auf den Brexit und in Deutschland ein Gegenpol zur EU-Kritik der AfD, sagte der Politologe: „Ich kann nachvollziehen, dass eine neue paneuropäische Partei, die für sozialliberale und ökologische Themen steht, bei einer Europawahl bei jungen Leuten Anklang findet, die ansonsten Grüne oder SPD wählen würden.“
Dass 17 Prozent der Unter-25-jährigen ihr Kreuz bei der in Teilen rechtsextremen AfD gemacht haben, liegt Franzmann zufolge auch an ökonomischen Sorgen und oft weniger an Ausländerfeindlichkeit. Wirtschaftswandel, Energiekrise, Wohnungsnot, all das verunsichere: „Es ist im Grunde die Aufforderung: ‘Kümmert Euch um uns’.“
Migration würden junge Menschen heute kritischer sehen als ihre Eltern. „Die haben damals mit vielleicht einem Migranten in der Klasse gesessen, das sieht bei ihren Kindern anders aus.“ Parolen wie „Grenze schließen“ könnten schnell verfangen. Es entstehe das Gefühl von Selbstwirksamkeit. „Das Gefühl, endlich tut mal einer was.“ Hinzu komme der „sehr professionelle“ Wahlkampf der AfD in den sozialen Medien, etwa auf TikTok.