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Pisa-Studie für Erwachsene: Lesen wird schlechter

Soziale Herkunft und Migrationshintergrund sind in Deutschland besonders entscheidend für das Erlernen von Lesen und Rechnen, so eine neue Studie. Hier muss sich etwas ändern, fordert der OECD-Bildungsdirektor.

Beim Lesen, Rechnen und bei der Lösung von Alltagsproblemen liegen deutsche Erwachsene im internationalen Vergleich im oberen Mittelfeld. Zu diesem Ergebnis kommt die neue Bildungsvergleichsstudie “PIAAC” der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) unter Erwachsenen aus 31 Ländern, die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde.

OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher sieht dennoch keinen Grund zur Entspannung: Über nahezu alle Länder hinweg sei der Anteil sehr schwacher Leseleistungen gewachsen, sagte er. In Deutschland etwa liest ein Fünftel der Erwachsenen schlecht oder sehr schlecht. Demnach können rund 22 Prozent der 16- bis 65-Jährigen den Inhalt eines einfachen Satzes wie “Bitte sorgen Sie dafür, dass Ihr Kind bis zehn Uhr hier ist” nicht oder nur mit Problemen erfassen.

Die Anforderungen im Arbeitsmarkt seien gewachsen, mehr junge Menschen besuchten die Universität – und dennoch gebe es relativ viele schlechte Leser. “Das war für uns die große Überraschung der Studie”, so Schleicher. Als möglichen Grund nannte er den zunehmenden Kontakt mit der digitalen Welt: “Das Lesen in der digitalen Welt macht uns mehr zu Konsumenten als zu reflektierenden Menschen.” Es gebe weniger Kontakt mit komplexen Texten und Aufgaben.

An der “Internationalen Studie zur Untersuchung von Alltagsfähigkeiten Erwachsener” nahmen von 2022 bis 2023 rund 160.000 Personen teil, 4.793 davon in Deutschland. Im Gegensatz zum ersten Erhebungszeitraum (2012 bis 2013) wurden die Tests ausschließlich mit Tablets durchgeführt. Neben Deutschland nahmen etwa Schweden, Dänemark, Spanien, Frankreich, Polen und Singapur an der Befragung teil.

In der Lesekompetenz liegt der Mittelwert in Deutschland laut Angaben mit 266 Punkten 6 Punkte über dem OECD-Durchschnitt, in der alltagsmathematischen Kompetenz mit 273 Punkten und im “adaptiven Problemlösen” – etwa dem Buchen einer Reise für mehrere Personen mit unterschiedlichen Bedarfen – mit 261 Punkten jeweils 10 Punkte über dem OECD-Durchschnitt. Die beiden Spitzenplätze belegen in allen drei Domänen Finnland und Japan; Chile erzielte die niedrigsten Werte.

Im Vergleich zu vor zehn Jahren sind die mittleren Lesekompetenzwerte bei niedrigen und mittleren Bildungsabschlüssen aktuell zum Teil deutlich niedriger als vor rund zehn Jahren. So weisen etwa Personen mit Hauptschulabschluss ohne Berufsabschluss eine durchschnittliche Lesekompetenz auf, die fast eine halbe Kompetenzstufe (minus 23 Punkte) niedriger ist als im ersten Zyklus von PIAAC. Ähnlich sieht es bei höheren Schulabschlüssen aus.

Die Bildungsabschlüsse der jeweiligen Länder sind demnach nicht unbedingt vergleichbar. So hat laut Studie jemand in Finnland mit einem Schulabschluss der Sekundarstufe II ein ähnliches Kompetenzniveau beim Lesen (289 Punkte) wie jemand in Deutschland mit einem Uniabschluss (291 Punkte).

Ähnlich der Pisa-Studien für Schülerinnen und Schüler zeigt sich hierzulande eine starke Abhängigkeit des Bildungserfolgs von sozialer Herkunft, was sich anschließend auch beim Einkommen und der Arbeitsplatzsicherheit niederschlägt. Es gebe kaum ein Land, in dem die sozialen Herkunftsbedingungen so entscheidend seien, sagte Schleicher. Dies sei jedoch kein “naturgegebener Zusammenhang”. Es müsse “darum gehen, wie man die Leistungsschere zwischen Menschen aus gut gebildeten und weniger gebildeten Elternhäusern wieder mehr zusammenbringt.”

In nahezu allen beteiligten Ländern weisen im Ausland geborene Personen durchschnittlich geringere Grundkompetenzen auf als im Inland geborene. Dieser Unterschied fällt in Deutschland demnach besonders groß aus und ist beinahe doppelt so hoch wie im OECD-Durchschnitt. So verfügen in Deutschland im Ausland Geborene über Lesekompetenzen, die im Mittel 70 Punkte niedriger sind als die der im Inland Geborenen. Im OECD-Durchschnitt beträgt diese Differenz 40 Punkte.

Für die alltagsmathematische Kompetenz fallen über alle Länder hinweg und so auch in Deutschland die Unterschiede zwischen der im Inland und im Ausland geborenen Bevölkerung etwas geringer aus. In Deutschland liegt die mittlere alltagsmathematische Kompetenz von im Ausland Geborenen 59 Punkte unter der von im Inland Geborenen. Diese Differenz ist damit wiederum deutlich höher als die entsprechende Differenz im Durchschnitt der OECD-Länder mit 35 Punkten.

Die besten Leistungen etwa in der Lesekompetenz verzeichnen im Ländervergleich im Mittel jüngere Personen (16 bis 34 Jahre). Die deutlichsten Unterschiede zeigen sich in Singapur und Chile, während sich in Schweden und Neuseeland jüngere und ältere Personen im Mittel in ihren Lesekompetenzen nicht unterscheiden. In Deutschland weisen die 55- bis 65-Jährigen im Mittel in Deutschland eine Lesekompetenz auf, die 14 Punkte über dem entsprechenden OECD-Mittel liegt. In der alltagsmathematischen Kompetenz fällt der Unterschied zwischen jungen und älteren Menschen demnach etwas geringer aus.

Die Geschlechter unterscheiden sich in ihren Grundkompetenzen nicht wesentlich; jedoch haben Frauen in allen untersuchten Ländern eine leicht höhere Lesekompetenz, während Männer in nahezu allen Ländern in der Alltagsmathematik sowie dem Lösen von adaptiven Problemen besser abschneiden.