Zur Erfolgsserie “Breaking Bad” finden sich fast 8.000 Einträge, zu “Star Trek” über 93.000, zur K-Pop-Band BTS knapp 200.000. Die Website “Archive of our Own” gilt als eine der größten Sammlungen von Fanfiction – von Werken also, die Fans verfasst haben, angelehnt an die Originalhandlung etwa eines Films oder Romans oder inspiriert von realen Personen wie Musikerinnen oder Sportlern. Das Hobby ist nicht neu: Schon in den 1930er Jahren verfassten Liebhaber der “Sherlock Holmes”-Reihe eigene Abenteuer des Detektivs. In Corona-Zeiten haben sogenannte parasoziale Beziehungen indes neuen Auftrieb erfahren.
“Parasoziale Beziehung”, das klingt sperrig und auch ein wenig abgedreht. Dabei ist es nach Worten der Kommunikationswissenschaftlerin Nicole Liebers ganz normal, dass Menschen sich etwa eine Vorstellung von Politikern machen, dass sie sich in Beziehung setzen zu medial präsenten Persönlichkeiten wie den Royals oder dem Papst. Auch die Erfahrung eines gewissen Abschiedsschmerzes, wenn eine Romanreihe oder die letzte Staffel einer Serie endet, machen viele Menschen.
Fanfiction ist ein ur-menschliches Bedürfnis
Aus Liebers’ Sicht kann genau daraus die Motivation entstehen, Fanfiction zu verfassen oder auch Fanart zu kreieren: Basteleien, Zeichnungen oder Comics rund um die geliebten Charaktere. “Man möchte weiterhin mit diesen Figuren zu tun haben, den Abbruch der Beziehung vermeiden”, erklärt sie.
Dass Menschen ihre Lieblingsgeschichten weiterspinnen, entspricht für den Fanforscher Harald Lange einem uralten Bedürfnis. “Menschen erklären sich die Welt mit Hilfe von Geschichten. Wir erzählen sie, geben sie weiter, entwickeln und verändern sie.” Dies präge die menschliche Kommunikation und das soziale Miteinander. Nicht umsonst wünschten sich schon Kinder, dass Mama oder Papa eine vorgelesene Geschichte abwandeln möge – um zum Beispiel den eigenen Kater miteinzubauen.
Im digitalen Zeitalter ist Fanfiction freilich nichts mehr, das nur im Familien- oder Freundeskreis oder im eigenen Tagebuch festgehalten wird. Prominente erzeugen ihrerseits mit Auftritten in den Sozialen Medien den Eindruck von größerer Nähe und Greifbarkeit denn je zuvor – und zugleich setzen manche klare Grenzen. Das Portal fanfiktion.de führt eine ganze Liste von Promis, die nur sehr eingeschränkt dargestellt werden dürfen, darunter etwa Nationalkicker Mario Götze oder Star-Geiger David Garrett. Damit leben, dass sie eine gewisse Projektionsfläche seien, müssten Berühmtheiten jedoch, mahnt Lange.
Expertin Liebers: Das Thema Fanfiction sei komplex
Bei weltberühmten Figuren der modernen Mythologie, etwa Harry Potter, gehe es eben auch um viel Geld: “Wenn jemand solch eine Geschichte als Hobby weiterschreibt, kann das niemand verbieten. Wenn die Geschichte dann aber veröffentlicht wird und viral geht, kommen kommerzielle Aspekte ins Spiel.” Zudem erfänden Menschen nicht nur schöne, originelle Geschichten, sondern auch solche, in denen etwa politisch “hochproblematische” Aspekte auftauchten.
Sprünge in Zeit und Raum, James Bond unter Aliens oder der Disney-Prinz, der sich in die Star-Wars-Prinzessin verliebt – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Zu Problemen führe das eher in Einzelfällen, sagt Liebers – wenn Menschen etwa über längere Zeiträume in ihre Fan-Welt abtauchen und den Sport oder Freunde vernachlässigen, oder wenn jemand sich einen so idealen Partner erträumt, dass kein reales Gegenüber noch eine Chance hat.
Fan-Dasein kann trösten
Jenseits solcher Entwicklungen sieht die Expertin im leidenschaftlichen Fan-Dasein aber viele Vorteile: “Sich eingebunden fühlen, inspiriert sein, Trost finden”. Lange weist zudem auf die Chancen hin, die darin für das Miteinander liegen: “Wir tauschen uns zum Beispiel darüber aus, wie andere einen neuen Film erlebt haben. Wenn man offen genug ist, findet man eine gemeinsame Ebene.” Insofern sei es wenig überraschend, dass Menschen dies während der Corona-Zeit verstärkt genutzt hätten.
Kreativität sei eine wichtige Ressource – und auch Künstler bezögen sich aufeinander. Ebenso zitiere der Karneval vorhandene Figuren und Motive. Lange: “Dieses Spiel mit unseren Geschichten ist etwas sehr Menschliches.”