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Pfeife statt Nadel – wie Crack die Drogenszene verändert

Die Szene wird härter, sagt ein Experte über die berüchtigte Frankfurter Niddastraße. Medien nennen sie auch das “Epizentrum der Crack-Epidemie im Bahnhofsviertel”. Ein Drogenkonsumraum reagiert auf die Veränderungen.

Fast alle Fenster sind geöffnet. Doch in der Luft hängt eine süß-säuerliche Mischung aus Schweiß, Drogen und Desinfektionsmittel: Sie erinnert an das Treiben des Vortags. Wer den Drogenkonsumraum in der Niddastraße in Frankfurt am Main nutzt, muss nur sein Suchtmittel selbst mitbringen. Beim ersten Mal registriert man sich im Eingangsbereich mit dem Namen; wenige Schritte entfernt können die Konsumenten dann saubere Nadeln, Löffel und weitere Hilfsmittel kaufen, alles für Cent- bis geringe Eurobeträge.

Das Team der Sozialeinrichtung will aufstocken – auf 16 Plätze bis Jahresende. Es braucht mehr Platz für sogenannten inhalativen Konsum, also solchen, bei denen Drogen übers Einatmen aufgenommen werden. Denn: Immer mehr Menschen rauchen Crack. Darauf müssen auch die Konsumräume reagieren.

Das weißliche Pulver ist die rauchbare Variante von Kokain – und in Deutschland verboten. Dennoch stimmt es laut Deutscher Hauptstelle für Suchtfrage nicht, “dass ausschließlich gutverdienende Bevölkerungsgruppen und ‘typische’ Berufe (zum Beispiel Werber oder Models) Kokain konsumieren und nur ‘richtige Junkies’ Crack oder Freebase rauchen”. 1,6 Prozent der Menschen zwischen 18 und 64 Jahren haben es im Jahr 2021 laut der Fachstelle konsumiert – seit 1995 steigt dieser Wert.

Im Raum für die Heroinkonsumenten stehen Teelichter auf den Tischen. Es wirkt, als habe jemand penibel jedes Staubkorn aus den Räumlichkeiten verbannt. Zwölf Menschen können sich hier gleichzeitig mit Nadeln Heroin injizieren. Manchen reicht ein Nadelstich, sagt Sozialarbeiter Oliver Hasenpflug. Nach mehreren Jahren hätten jedoch viele vernarbte Venen. Dann brauche es schon einmal drei Stunden und 50 Nadeln, bis die Stoffe ins Blut gelangen.

Im Nachbarraum stehen vier Stühle mit Tischen. Hier wird geraucht, vor allem Crack. Früher hätten die Plätze gereicht, aber angesichts des steigenden Crack-Konsums sollen bald auch Büros zu Konsumräumen umgestaltet werden.

Laut einer Szenestudie in Frankfurt von Ines Arendt und Bernd Werse ging der intravenöse Konsum in den vergangenen Jahren stark zurück. Intravenös bedeutet, dass die Droge, wie zumeist bei Heroin, direkt in die Blutbahn gespritzt wird. 2008 konsumierten 78 Prozent intravenös, im vergangenen Jahr waren es noch 28 Prozent. Werse betrachtet diesen Rückgang als positive Entwicklung, weil Spritzen die riskanteste Konsumform sei. Infektionen und Überdosis träten hier am häufigsten auf, sagt der Leiter des Instituts für Suchtforschung.

Aus Sozialarbeiter-Sicht wäre es dagegen besser, wenn die Menschen Heroin statt Crack konsumieren, erklärt Hasenpflug: Denn die Wirkung von Crack halte nur 10 bis 15 Minuten an. Kurz danach setzen schon wieder die Entzugssymptome ein. Konsumieren und neuen Stoff besorgen – ein nicht enden wollender Kreislauf. Manchmal pausieren Abhängige erst, wenn die körperliche Erschöpfung sie für mehrere Tage schlafen lässt. Zwischen Rausch und Beschaffung kann der Sozialarbeiter kaum eingreifen, um mit ihnen zu arbeiten.

Das ist bei Heroin anders. Nach dem Rausch hätten Abhängige eine längere Pause, bevor sich wieder Entzugserscheinungen zeigen. Auch gesundheitlich sei die Droge weniger fatal als Crack. “Mit Heroin kann man 100 Jahre alt werden”, sagt Hasenpflug. Es habe keine zellschädigende Wirkung. Doch generell gelte: “Wenn man etwas konsumiert und merkt, das ist genau mein Ding, sollte man die Finger davon lassen.”

Für Hasenpflug und die anderen Mitarbeiter ist eine möglichst sichere Nutzung von Drogen das Ziel des Konsumraums. Sprich, sie wollen eine Überdosis verhindern und Betroffene an andere soziale Einrichtungen weitervermitteln. Schwere Fälle von einer Überdosis beobachten sie immer seltener.

Auch das liegt am veränderten Konsumverhalten: Eine Überdosis durch Crack hat Hasenpflug nach eigenen Worten noch nie erlebt. Er spricht von rund 60 Fällen im Jahr, in denen jemand blau anlief, aufhörte zu atmen und der Notdienst geholt werden musste. Vor einigen Jahren seien es noch rund 250 Fälle gewesen. Der Grund sei oft, dass Heroin immer häufiger andere, oft ein vielfaches stärker wirkende Stoffe, beigemischt würden. Um das zu umgehen, bekommen Konsumenten von den Mitarbeitern Teststreifen gestellt.

Heroin macht den Angaben zufolge ruhig, entspannt und glücklich, Crack hingegen wach, leistungsfähig und aufgekratzt. Es unterdrücke Müdigkeit, Hunger und Schmerzen. Diese Wirkung mache sich im Bahnhofsviertel bemerkbar und verändere die Szene: “Sie ist schneller geworden, sie ist härter geworden, sie ist untereinander aggressiver geworden”, sagt Hasenpflug. Passanten bekämen dies meist nur am Rande mit – da sich die Szene vor allem mit sich selbst beschäftige.