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Personalchef: Kirche geht konsequenter gegen Missbrauchstäter vor

Die bayerische evangelische Landeskirche geht heute nach Einschätzung ihres Personalchefs Stephan Reimers dienstrechtlich sehr viel konsequenter gegen Missbrauchstäter in den eigenen Reihen vor als früher. Sobald ein Gericht eine Haftstrafe von mindestens einem Jahr verhänge, „wird jemand aus dem Dienst entlassen und kann nicht mehr eingesetzt werden“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Reimers ist seit 2018 Dienstvorgesetzter des landeskirchlichen Personals, darunter der rund 2.400 evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrer.

Im Gegensatz zum Vorgehen in der Vergangenheit orientiere sich die Kirche heute an der Verurteilung durch staatliche Gerichte und lasse „keine Möglichkeit einer anderen Entscheidung mehr zu“. Die Bezugnahme auf das Strafmaß der staatlichen Justiz für eine Entfernung aus dem Dienst wurde im Jahr 2005 im damaligen Pfarrergesetz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) verankert. Das habe die bayerische Landeskirche initiiert, die aus Fällen sexualisierter Gewalt „gelernt hat, dass wir als Kirche nicht ein vom staatlichen Strafrecht freier Raum sind“, sagte Reimers.

Noch bis weit in die 2000er-Jahre hinein habe es sogenannte Spruchverfahren gegeben, in denen die Kirche eigene Aufklärung betrieb und kirchliche Disziplinarmaßnahmen für ausreichend hielt. Versuche, staatliche Verfahren zu verhindern, fänden heute nicht mehr statt: „Es gibt eine klare Linie im Dienstrecht und in allen Vollzügen der Personalarbeit, alles dafür zu tun, dass diese Fälle der staatlichen Justiz zugeführt werden. Das ist die Linie, die wir heute haben.“

Sobald gegen einen mutmaßlichen Täter staatsanwaltlich ermittelt wird, erfolge eine vorläufige Vollsuspendierung des kirchlichen Mitarbeiters. Während des staatlichen Verfahrens ruhe das kirchliche Disziplinarverfahren vorübergehend, werde aber nach erfolgtem Urteil wieder aufgenommen. Staatsanwaltliche Ermittlungsergebnisse fließen laut Reimers in das kirchliche Verfahren mit ein. Der Täter bleibe auch bei Berufungsverhandlungen vor dem Disziplinarhof in Hannover bis zur endgültigen Beschlussfassung suspendiert.

In der Vergangenheit wurden Täter nicht selten durch Machtstrukturen in der kirchlichen Organisation geschützt. Um das zu verhindern, habe man sichergestellt, dass die Kommunikation zwischen Kirchenjuristen und den Ansprechpartnern für die Betroffenen sexualisierter Gewalt in der Kirche intensiviert wurde. Dadurch werde sichergestellt, dass die Informationen weitergegeben werden, „und zwar nicht über kirchenleitende Personen“. Anschuldigungen aufgrund persönlicher Beziehungen zu den mutmaßlichen Tätern könnten so nicht mehr vertuscht werden, sagte Reimers.

Die bayerische Landeskirche hat laut ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt in Kirche und Diakonie für den Zeitraum von 1917 bis 2020 insgesamt 129 beschuldigte Personen identifizieren können. Laut den Wissenschaftlern der Studie wurden von diesen 226 Taten begangen. 56 Täter waren Pfarrpersonen. Der Rest waren Erzieher in Heimen, ehrenamtliche Jugendleiter und Kirchenmusiker. (00/0722/03.03.2024)