„Wir weigern uns, Feinde zu sein.“ So steht es mehrsprachig auf der gut sichtbaren Steintafel. Es ist das Motto des Friedensprojekts „Tent of nations“ (Zelt der Nationen), das Brücken bauen möchte: Brücken zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion – gerade auch Brücken im festgefahrenen Nahostkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern.
„Wir weigern uns, Feinde zu sein.“ Selbstverständlich ist diese Haltung des evangelisch-lutherischen Palästinensers und Gründers von Tent of Nations, Daoud Nassar, auf keinen Fall. Der Weinberg in der Nähe von Bethlehem, auf dessen Gelände das private Projekt angesiedelt ist, gehört seiner Familie seit 1916. Doch seit 1991 versucht die israelische Regierung, das Gelände zu enteignen.
Mit ihrer Siedlungspolitik treibt sie den Ausbau von Siedlungen in der Westbank, dem seit 1967 von Israel besetzten Gebiet westlich des Jordans, stetig voran. Es gibt bereits mehrere größere Siedlungen in unmittelbarer Nachbarschaft zu Nassars Land. Um diese Siedlungen besser von Israel aus erreichen zu können, sollten – so der Plan – Straßen durch den Weinberg gebaut werden. Auf rechtlichem Wege konnte dies bisher verhindert werden, aber mehrfach kam es bereits zu Übergriffen seitens israelischer Siedler.
Was Familie Nassar erlebt hat, ist beispielhaft für die Situation der palästinensischen Bevölkerung. Klagen über Enteignungen oder Hauszerstörungen, über Schikanen an den Grenzübergängen und ganz allgemein Benachteiligungen häufen sich, so dass der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen (UN) zusammenfassend feststellt: „Im 50. Jahr der Besatzung ist die Lage der Menschenrechte durch gravierende Verschlechterungen gekennzeichnet.“
Die eskalierende Situation zeigt sich symbolisch an der Mauer, die seit 2002 die Westbank von Israel trennt. Offizieller Grund für den Bau war es, palästinensischen Attentätern den Zugang nach Israel zu erschweren. Doch wurde die Sperranlage nicht auf der Waffenstillstandslinie von 1949 errichtet, sondern zu großen Teilen jenseits davon, bisweilen sogar so, dass für große Siedlungen leichtere Zufahrtsmöglichkeiten von Israel aus ermöglicht wurden. Dadurch wurde jedoch mehrfach palästinensischen Bauern der Zugang zu ihren Feldern versperrt.
Angesichts dieser Situation hat die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW)in einer Stellungnahme, die sie der Landessynode im November 2017 vorgelegt hat, erklärt, sich „solidarisch an die Seite unserer christlichen Geschwister und Kirchen in Palästina zu stellen“. (Auszüge siehe Kasten). Denn in dem mehrheitlich muslimischen Gebiet gibt es eine christliche Minderheit (1,5 Prozent). In besonderer Weise fühlt sich die westfälische Kirche mit der Evangelisch-lutherischen Kirche in Jordanien und dem Heiligen Land (ELCJHL) verbunden. Sie ist eine kleine Kirche, bestehend aus fünf Gemeinden, die aber unter anderem in der Schularbeit Großes leistet.
Doch auch auf israelischer Seite gibt es Menschen, die unter der derzeitigen Situation leiden: Menschen, die Angehörige bei Attentaten verloren haben, oder Kinder, die wegen Raketenangriffen aus dem Gazastreifen traumatisiert sind. Deshalb hält es die Kirchenleitung für „unverzichtbar, den schwierigen Weg der Solidarität mit den leidenden Menschen aller beteiligten Konfliktparteien (…) zu gehen“. Diese Haltung hat ein junger Freiwilliger, der ein Jahr in Beit Sahour verbracht hat, auf den Punkt gebracht: „nicht neutral, sondern parteiisch für beide Seiten“ (Im Lande der Bibel 3/2017).
Aus diesem Grund fordert die Kirchenleitung dazu auf, Organisationen zu unterstützen, die „sich für eine friedliche Koexistenz aller Menschen in Israel und Palästina einsetzen“. Hier ist zum Beispiel Nes Ammim zu nennen (siehe Bericht unten).
Eine andere Organisation, die von der EKvW unterstützt wird, ist der Jerusalemsverein, der seit Mitte des 19. Jahrhunderts in und um Jerusalem tätig ist. Er setzt sich vor allem für die Bildung christlicher und muslimischer Kinder in der Westbank ein, unterstützt aber allgemein alle Initiativen, die sich für Verständigung und Versöhnung zwischen Israelis und Palästinensern einsetzen.
Ein solcher Friede scheint derzeit in weite Ferne gerückt zu sein. Umso wichtiger ist es, dass Kirche auf allen Ebenen – Einzelpersonen, Gemeinden, Kirchenkreise, Ämter und Werke, aber auch christliche Initiativen – nicht nachlässt, für Versöhnung in Israel und Palästina und für eine gerechte Lösung des Konflikts einzutreten. Denn auf beiden Seiten gibt es Menschen, die vor allem eines mit uns verbindet: die Sehnsucht nach einem Leben in Frieden und Sicherheit.
Ralf Lange-Sonntag ist Pfarrer und in Westfalen beim Amt für MÖWe unter anderem zuständig für den Interreligiösen Dialog.
