Predigttext
11 Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, beugte sie sich in das Grab hinein 12 und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo der Leichnam Jesu gelegen hatte. 13 Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. 14 Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. 15 Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir: Wo hast du ihn hingelegt? Dann will ich ihn holen. 16 Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister! 17 Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott. 18 Maria Magdalena geht und verkündigt den Jüngern: „Ich habe den Herrn gesehen“, und was er zu ihr gesagt habe.
Ein „sehr verblasster Mythos“ sei die Auferstehung dieser Tage, kommentierte vor Jahren die Süddeutsche Zeitung eine österliche Umfrage. Nur ein Drittel der Deutschen könne Kreuz und Auferstehung heute etwas abgewinnen.
Es ist offensichtlich: Ostern ist nicht offensichtlich. Man blickt kaum durch, erkennt nichts auf den ersten Blick, vieles bleibt im Diffusen.
Wie tröstlich – just davon erzählt Johannes zu Ostern. Die beiden letzten Kapitel seines Evangeliums sind ein großes Hin und Her, sind Geschichten vom Sehen und Übersehen, von plötzlicher Hoffnung und großer Verwirrung, von neuem Leben und vom Rückzug ins Alte. Da ist Thomas, der erst anfassen muss, bevor er es fassen kann. Da sind die Jünger, die einfach wieder Fischer werden. Bevor der Herr ein zweites Mal sie von ihren Booten holt.
Und da ist Maria Magdalena. Die da draußen steht und weint. Nachdem sie früh am Morgen das offene Grab schon entdeckt – aber ratlos bleibt. Wie auch Petrus und die anderen, von ihr eilends unterrichtet, erst einmal an Ostern vorbeispazieren. Kommen angerannt, inspizieren den Platz, finden kaum Greifbares, kapieren nichts – und gehen wieder heim.
Dann aber, im zweiten Anlauf auf dem Friedhof: Maria. Gleich zweimal weist Johannes darauf hin, wie sie die Welt an diesem Morgen sieht: Sie weint. Sie bleibt, sie trauert, hält entschieden fest an ihrer Liebe. Und weint.
Ihr Blick in das Grab ist keine nüchterne Inspektion. Ihre Augen sehen durch Liebe und Sehnsucht und Trauer hindurch.
Die beiden Engel wiederum schmettern der Trauernden kein triumphales „Er ist wahrhaftig auferstanden“ um die Ohren. Bei Gott: Zuerst kommt der Mensch in den Blick.
Fragen also: „Frau, was weinst du?“ Eine Brücke zum Leben, diese Frage. Damals wie heute.
Doch offensichtlich ist immer noch nichts.
Maria wendet sich um – und sieht und sieht doch nicht. Meint, es sei der Gärtner. Und auch für den zählt erst einmal nur eins: „Frau, was weinst du?“
Und als sie hilflos ihre Lage und ihr Sehnen zu erklären sucht, spricht er nur ein Wort: „Maria“.
Erst das lässt sie sehen und erkennen. Und vertraut wie zur Lebzeit spricht sie ihn an in ihrer Sprache: „Rabbuni!“.
Ostern ist nicht offensichtlich. Es verschließt sich kühl distanzierter Betrachtung. Leuchtet nicht ein auf den erstbesten Blick. Der Fakten-Daten-Zahlen-Realist hätte auch damals den Friedhof mit Kopfschütteln verlassen. Gehen Sie weiter. Es gibt hier nichts zu sehen. Tot ist tot.
Johannes erzählt von Maria. Die liebt. Die trauert. Die weint. Die hofft. Die sich sehnt. Die dem Tod partout das letzte Wort nicht lassen will. So kommt sie Gott und dem Leben auf die Spur.
Und dann spricht Gott dich an. Und öffnet dir die Augen für die Auferstehung. Nein, offensichtlich ist das nicht. Aber es geschieht. „Ich habe den Herrn gesehen.“ Maria als Erste.
Ist nur ein Augenblick, gewiss. Lässt sich nicht festhalten, nicht konservieren und verfügbar machen. „Rühre mich nicht an.“
Wir bleiben, so lange wir leben, im Diffusen. Auf der Erde, nicht im Himmel. Wir werden immer wieder – wie die Ostermorgen-Menschen – sehen und nicht sehen, an Ostern vorbeigehen, für Zeiten es schlicht nicht kapieren.