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Olympia – Warum viele Sympathien für die Außenseiter hegen

Ob David gegen Goliath oder Drittligist gegen Bayern München: Im Kampf zwischen Ungleichen fliegen dem – vermutlich – Unterlegenen mehr Herzen zu. Was das mit Hoffnung und Angst zu tun hat.

Die US-Turnerin Simone Biles (27) ist bei den jetzigen olympischen Spielen in Paris haushohe Favoritin – und trotzdem kommt sie nach längerer Pause und mentaler Krise auch als “Underdog” zurück auf die sportliche Bühne. Mit ihr fiebern zahlreiche Zuschauerinnen und Zuschauer mit; selbst Stars wie Serena Williams und Spike Lee feuerten Biles an, als diese auf ihr erstes Olympia-Gold bei diesen Sommerspielen zusteuert. Aber warum hegen Menschen vor allem Sympathie für jene, die es schwer hatten, die sogar als Außenseiter oder offenkundig unterlegen in den Wettkampf ziehen?

Studien belegen diesen sogenannten Underdog-Effekt, den die Sportpsychologin Annelen Collatz im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) als ein “sozialpsychologisches Phänomen” bezeichnet. Das populärste Beispiel dafür dürfte der biblische Kampf zwischen David und Goliath sein – der eigentlich Unterlegene besiegt den Übermächtigen. Collatz, die unter anderem den aktuellen Ruder-Weltmeister Oliver Zeidler coacht, sagt: “Menschen entwickeln Sympathien für Menschen, die nicht automatisch auf der Gewinnerseite stehen.” Zwar trägt Top-Turnerin Biles eher Gewinner-Gene in sich, aber sie habe sich zuletzt “trotz Widrigkeiten durchgekämpft”, erklärt Collatz.

Biles hatte ihre Teilnahme bei den Olympischen Spielen in Tokio 2021 wegen einer mentalen Krise abgebrochen und war die erste Sportlerin, die so offen über ihre psychische Verfassung sprach. Damit hat sie sich laut Collatz als Mensch gezeigt: “An diese Emotionen können wir leicht andocken”. Underdogs zeichne aus, dass sie Herausforderungen überwinden würden – durch Durchhaltevermögen, Entschlossenheit und Widerstandskraft. Wer für den Schwächeren die Daumen drückt, der hofft dabei zudem auch, dass die Stärke abfärbt – und er eigene Hürden überwinden kann.

Der Ulmer Sportpsychologe Markus Gretz nennt das einen “motivationalen Nutzen”: “Wenn Menschen im Sport über sich hinauswachsen können, kann ich das in anderen Lebensbereichen vielleicht auch”, sei die unterbewusste Überlegung vieler. Man projiziere den Erfolg des Underdogs auf sich selbst. Zugleich sei die Fallhöhe auch geringer, wenn man dem Außenseiter die Daumen drücke – wenn dieser verliert, hat man schließlich schon halb damit gerechnet, die Enttäuschung halte sich in Grenzen. Gleichzeitig macht dieses Mitfiebern auch den Reiz eines Wettkampfs aus, sagt Gretz: “Wir wollen ihn als etwas Offenes erleben, bei dem auch Unwahrscheinliches passieren kann.”

Im Fußball treffen etwa beim DFB-Pokal regelmäßig Mannschaften aus unteren Ligen auf Erstligisten. Im Jahr 2000 hat der 1. FC Magdeburg, damals Oberliga, das Wunder vollbracht, den FC Bayern München 5:3 zu schlagen – davon zehrt der sachsen-anhaltische Verein noch heute. Wer damals den Magdeburgern die Daumen drückte, hatte laut Gretz hoffnungsvolle, also angenehme Gefühle. Der Favorit Bayern München musste hingegen Häme nach dem verlorenen Spiel ertragen – und seine Fans erlebten eher unangenehme Gefühle während der Partie: die Angst vor der Niederlage.

Als Favorit ins Rennen zu gehen, ist also auch nicht ohne. Psychologin Collatz erklärt: “Wir neigen dazu, uns mit den Schwächeren zu identifizieren, vor allem, wenn wir Hilfe und Solidarität als soziale Normen verinnerlicht haben. Dabei vergessen wir aber gerne, dass der Favorit unheimlich viel dafür getan hat, dass er Favorit ist.” Der Druck sei enorm – wer hingegen als Underdog in den Wettkampf ziehe, sei weniger belastet.