Einige Wiesn-Wirte hatten sich aufgeregt vor der TV-Premiere 2020. “Rufschädigend” sei die Serie. Eine bessere Werbung hätten sich die Macher nicht wünschen können. Vor der Fortsetzung Staffel eins nochmals am Stück.
In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:
Sehenswerte sechsteilige Mini-Serie von Hannu Salonen über die Welt des Oktoberfestes im Jahr 1900, die der BR zur Freude von Binge-Watchern an einem Abend hintereinanderweg zeigt. Und das kurz bevor die ARD ab 20. September die ebenso gelungene Fortsetzung “Oktoberfest 1905” ausstrahlt; ab dem 12. September ist sie sogar schon in der Mediathek zu sehen.
Zwei Bierbrauerdynastien kämpfen um die Vormacht auf dem Volksfest, das sich von seinen traditionellen Wurzeln weg zum großen Geschäft entwickelt; dazu trägt Curt Prank (Misel Maticevic), der Patriarch einer der Brauereien bei, der die “Wiesn” mit einer Bierhalle für 6000 Menschen revolutionieren und international bekannt machen will.
Rund um ihn und seine Widersacher entspinnen sich allerlei geschäftliche wie private Konflikte. Die aufwändige Umsetzung des Stoffes mischt historische Fakten mit fiktiven Begebenheiten, politische mit melodramatischen Handlungssträngen und entwickelt sich zum facettenreichen Gründerzeit-Panorama.
Die Männer mit ihren Federn und Baströcken am Isar-Strand verwirren einen am Anfang etwas. Eine Rückblende in die Zeit der Bajuwaren? Nein, die schauten nicht so aus wie diese “Wilden” aus der Südsee, aus Deutsch-Samoa. Was das mit der Wiesn zu tun hat? Viel. Denn ab 1875 wurden dort Völkerschauen mit Menschen aus aller Welt immer populärer, die letzte fand übrigens 1959 statt. Solche “Kannibalen” gaben einem das Gefühl, was Besseres zu sein, und zuzutrauen war ihnen eh alles, selbst ein Mord am ehrwürdigen Giesinger Gasthof- und Brauereibesitzer Ignatz Hoflinger (Francis Fulton-Smith).
“Oktoberfest 1900” heißt die an historische Gegebenheiten angelehnte Event-Serie von 2020. Am Dienstag zeigt das BR Fernsehen alle sechs Folgen am Stück. Unter der Regie von Hannu Salonen spielt eine Riege erstklassiger Schauspielerinnen und Schauspieler mit. Maximilian Brückner, der einen korrupten, reichen Bierbrauer namens Anatol Stifter verkörpert, pries die Serie im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) so an: “Ein Thriller, ein Drama, eine Komödie – da ist alles drin.”
Hoflinger ist das erste Opfer des aus Nürnberg stammenden Aufsteigers Curt Prank (Misel Maticevic). Mit seiner Tochter Clara (Mercedes Müller) ist er nach München gezogen, um seinen Traum von der “Bierburg” für 6.000 Gäste zu verwirklichen. 20 Mal so groß wie die sonst üblichen Bierbuden auf dem Oktoberfest soll sie sein. Dafür braucht er die entsprechende Stellfläche; um diese zu kriegen, ist ihm jedes Mittel recht. Kommt er mit Bestechung nicht weiter, hilft ihm sein Mann fürs Grobe (Martin Feifel). Den Gastronom gab es tatsächlich. Er hieß Georg Lang, und in seiner Bierhalle erklang auch erstmals das Trinklied “Ein Prosit auf die Gemütlichkeit”.
Die Hoflinger-Witwe (Martina Gedeck) kämpft derweil ums Überleben der Deibel-Brauerei und um das ihre Familie voraussichtlich sanierende Wiesn-Geschäft. Die Hoffnung möge weiterleben in ihren beiden Söhnen und in “ihrem guten Bier”, hat ihr der Pfarrer bei der Trauerfeier gewünscht. In diese Nebenrolle ist sogar ein echter Priester mit Erfahrung als Wiesn-Kellner geschlüpft: Rainer Maria Schießler.
Wie aus einem kraftvollen Sud für ein süffiges Märzenbier haben die Macher aus dem Vollen geschöpft. In den Prager Studios wurde ein München zur Prinzregentenzeit geschaffen mit düsteren Ecken samt farbenprächtigem Oktoberfest, das nichts von der Bussi-Stadt hatte. Dafür gab es eine Schwabinger Boheme mit Kandinsky, Thoma und Gräfin Reventlow. Als diese Künstler beim “Oiden Deibel” im Arbeiterviertel Giesing zu Gast sind, treffen zwei Welten aufeinander. Mittendrin Wirtssohn Ludwig, der als Zeichner für den “Simplicissimus” entdeckt wird und dessen damals noch strafbare Homosexualität ihn erpressbar macht.
Das Bierkartell mag eine Sache der Männer sein, die unter sich die Regeln ausmachen. So gilt seit der Jahrhundertwende, dass nur das Bier von Münchner Brauereien auf der Wiesn ausgeschenkt werden darf. Doch es gibt auch starke Frauen in diesem Mehrteiler. Brigitte Hobmeier spielt das Biermadl Colina Kandl, das mit List zur Anstandsdame von Pranks Tochter wird. Als sie später in ihren Job als Bedienung zurückkehrt, weiß der Wirt die rothaarige Schöne auf Plakaten zu vermarkten, die sie Bierkrüge tragend auf einem Fass zeigen wie die berühmte Schützenliesl. Sie wiederum nutzt ihre Bekanntheit, um für sich und ihre Kolleginnen per Streik bessere Löhne auszuhandeln.
Liebe, Intrige, Gewalt und Humor – die Serie nimmt einen mit in eine andere Zeit und lässt in Abgründe blicken. Die Wiesn-Besucher kriegen von all dem, was im Hintergrund abgeht, nichts mit. Sie wollen nur – so wie heute auch – für einige Stunden dem Alltag entfliehen. Deshalb ein Prost auf dieses Fernsehevent.
Einigen verärgerten Wiesn-Wirten, die vorab um den Ruf ihres Volksfestes fürchteten angesichts manch düsterer Film-Intrige, sei geraten: “Schwoabts es obe!” (Spült es runter) – am besten mit einem kühlen Wiesn-Bier.