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Ohne Dach überm Kopf

Fehlbestand auf eine Million beziffert. Bundesweite Plattform der Selbstvertretung Wohnungsloser und ehemals Wohnungsloser entsteht. Grundstein beim dritten Bundestreffen gelegt

epd

Freistatt/Wiesbaden – Wohnungslose und ehemals wohnungslose Menschen aus ganz Deutschland wollen eine bundesweite Selbstvertretung aufbauen, um für ihre Interessen einzutreten. Beim dritten Wohnungslosentreffen im niedersächsischen Freistatt sei dafür der Grundstein gelegt worden, sagte Koordinator Stefan Schneider (53) zum Abschluss des Camps. Die Situation obdachloser und wohnungsloser Menschen werde in der Öffentlichkeit häufig nur als Defizit beschrieben. „Wir haben aber auch Stärken und Fähigkeiten“, betonte Schneider. Diese wollten die Wohnungslosen nun in politische Debatten und soziale Initiativen einbringen.

Fünf-Punkte-Programm erarbeitet

Bei dem einwöchigen Treffen erarbeiteten die rund 100 Teilnehmenden ein Fünf-Punkte-Programm, um die Situation wohnungsloser Menschen zu verbessern. Sie fordern unter anderem eine auf sie zugeschnittene medizinische Versorgung mit mehr Arztmobilen und kostenlosen Medikamenten. Neben einer Akut-Versorgung müsse auch die Behandlung chronischer Krankheiten möglich sein. Zudem müsse die Versorgung psychisch kranker Wohnungsloser verbessert werden.
Das Recht auf eine Wohnung müsse im Grundgesetz verankert und praktisch umgesetzt werden, verlangen die Teilnehmer weiter: „Wir brauchen ein breites Bündnis für eine neue Wohnungspolitik.“ Wohnungslose Menschen sollten auch in Bauvorhaben einbezogen werden. Zu den weiteren Forderungen gehören ein höherer Regelsatz an Sozialhilfe für Menschen, die auf der Straße leben, und mehr Möglichkeiten, den Kontakt zu getrennt lebenden Kindern zu pflegen.
Das Treffen in Freistatt wurde unter anderem von der „Aktion Mensch“, den v. Bodelschwingh­schen Stiftungen Bethel in Bielefeld und dem Diakonischen Werk in Niedersachsen gefördert. Die Teilnehmenden haben sich über die Internet-Plattform www.wohnungslosentreffen.de sowie über soziale Medien miteinander vernetzt. Das nächste Treffen soll im Juli 2019 stattfinden, voraussichtlich in einer Einrichtung der Diakonie im oberbayrischen Herzogsägmühle.
Die Zahl der Wohnungen steigt in Deutschland nicht so stark wie nötig. I m vergangenen Jahr habe es bundesweit 265 000 neue Wohnungen gegeben, teilte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mit. Der Bestand sei damit im Jahr 2017 um 0,6 Prozent erhöht worden. Der Wert liegt etwa auf dem Niveau des Vorjahrs. Laut einer Studie des Eduard-Pestel-Instituts bräuchte es in Deutschland allerdings jährlich 400 000 neue Wohnungen, um den steigenden Bedarf decken zu können. Verbände fordern vor allem die Förderung bezahlbaren Wohnraums.
Ende 2017 gab es den Angaben zufolge in Deutschland insgesamt knapp 42 Millio­nen Wohnungen. Auf 1000 Einwohner kämen damit aktuell 507 Wohnungen. Das seien zwölf Wohnungen mehr als im Jahr 2010. Seit 2010 seien hierzulande rund 1,5 Millionen neue Wohnungen gebaut worden. Der Bestand habe sich seitdem um knapp vier Prozent erhöht.
Der Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes, Ulrich Ropertz, sagte, aktuell fehlten in Deutschland rund eine Million Wohnungen: „Die aktuellen Zahlen reichen hinten und vorne nicht, um das Defizit auszugleichen.“ Wichtig sei aber auch, dass nicht nur Neubauten gefördert würden, sondern vor allem „Wohnungen im mittleren und unteren Preissegment“. Auch die Geschäftsführerin der Wohnungslosenhilfe, Werena Rosenke, forderte mehr Maßnahmen, die den Bestand an bezahlbarem Wohnraum vergrößern. „Hier müsste auch der Bund stärker aktiv werden“, sagte Rosenke. Stattdessen sei mit dem Baukindergeld eine Maßnahme auf den Weg gebracht worden, die „nicht den einkommensschwachen Menschen“ zugute komme.

Bestand an sozialem Wohnraum gesunken

Neu gebaut wurden dem Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen zufolge 2017 rund 285 000 Wohnungen. Die Differenz zu den 265 000 tatsächlich nutzbaren neuen Wohnungen komme durch Abgänge, wie etwa Abriss, Zusammenlegung oder Umwandlung, zustande. „Nichtsdestotrotz bleibt es natürlich dabei, dass diese Zahlen viel zu niedrig sind“, sagte eine Sprecherin. Vor allem in Großstädten herrscht ein Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Nach Angaben des Deutschen Mieterbundes fehlten im Dezember 2017 rund eine Million Wohnungen. Aufgrund der steigenden Nachfrage sind die Mieten in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Auch für 2018 rechnet der Mieterbund mit einer weiteren Teuerung.
Seit 1990 ist der Bestand an sozialem Wohnraum um mehr als die Hälfte gesunken. Nach Angaben der Wohnungslosenhilfe gab es 2016 noch etwa 1,2 Millionen Sozialwohnungen. Den Angaben zufolge werden bis 2020 weitere 170 000 aus der Bindung fallen. Die Zahl der Menschen, die auf der Straße leben, steigt seit Jahren an. So waren 2016 etwa 860 000 Menschen obdachlos. Für 2017 und 2018 wird ein weiterer Zuwachs um etwa 350 000 erwartet.epd/UK