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Ökonominnen wollen Umdenken – Windeln wechseln ist auch Wirtschaft

Für sie beginnt Ökonomie bei der Sorge füreinander – nicht bei Wachstum, Geld oder Bilanzen. Die Politökonomin Feline Tecklenburg fordert einen radikalen Perspektivwechsel in der gängigen Wirtschaftslogik.

Einen “radikalen Perspektivwechsel auf Wirtschaft” – nicht weniger als das will die Politökonomin Feline Tecklenburg erreichen. “Windeln zu wechseln, das Klo zu putzen, die Oma zu besuchen oder das Kind aus der Kita abzuholen ist Wirtschaft”, sagte sie jüngst bei einer Online-Veranstaltung der Evangelischen Akademie im Rheinland. Aufgabe von Wirtschaft sei laut gängigen Definitionen die Verteilung: Wer brauche wann was, wo und wie viel davon? Sorge-Arbeit sei im Kern nichts anderes – nämlich die Befriedigung der Bedürfnisse von Menschen, sagt Tecklenburg.

Die Wissenschaftlerin ist Mitgründerin und Co-Vorständin der sogenannten postpatriarchalen Denk- und Handlungswerkstatt “Wirtschaft ist Care”. Die Vision der Initiative ist es, zu einem neuen Wirtschaftsverständnis zu kommen – einem, bei dem man im Zusammenhang mit Ökonomie nicht nur an Geld und Unternehmen, Männer und Krawatten denke. Bezahlte wie unbezahlte Care-Arbeit sei eben auch das: Arbeit, die menschliche Bedürfnisse befriedige.

“Weltweit werden täglich 16 Milliarden Stunden unbezahlte Care-Arbeit geleistet, 12 Milliarden davon von Frauen”, erklärt Tecklenburg. Diese Ungleichheit habe Konsequenzen, die sich etwa im Gender Pay Gap widerspiegelten: 2024 haben demnach erwerbstätige Frauen 16 Prozent weniger verdient als erwerbstätige Männer. Das liege auch daran, dass Frauen häufig in sozialen Berufen arbeiteten, die per se schlechter bezahlt würden. Außerdem seien Frauen oft in Teilzeit beschäftigt.

Beim Gender Pension Gap – also der Lücke beim Alterseinkommen zwischen Frauen und Männern – sieht es noch gravierender aus: So bekamen Frauen im Jahr 2023 rund 40 Prozent weniger Alterssicherungsleistungen als Männer.

Tecklenburg sieht eine kulturelle Abwertung von Sorge-Arbeit: “Die muss es geben, damit die Verhältnisse so bleiben.” Im Gegensatz dazu werde Erwerbsarbeit im privaten und öffentlichen Sektor – etwa in der Autoindustrie – aufgewertet. Während Care-Arbeit mit Begriffen wie “unsichtbar”, “weiblich”, “selbstverständlich” und “migrantisiert” in Zusammenhang gebracht werde, werde bezahlte Erwerbsarbeit verbunden mit Begriffen wie “Leistung”, “männlich”, “sichtbar” und “weiß”.

Um die Verhältnisse zu ändern, räumt Tecklenburg ein, müsse eine Menge passieren. Zum Beispiel müsste es viel mehr Investitionen in Soziales geben, denn: “Uns wird gern die Geschichte von Knappheit erzählt: Es ist kein Geld da für soziale Leistungen. Wohlstand muss erst erwirtschaftet werden, bevor er verteilt werden kann”, kritisiert Tecklenburg. So entstehe der Eindruck, dass es “sozialer Luxus” sei, Kinder aufzuziehen, Ältere zu pflegen oder anderen die Haare zu schneiden.

Wohlstand entsteht laut Tecklenburg aber in allererster Linie durch Sorge-Arbeit: “Alles andere kann erst stattfinden, wenn Menschen aufgezogen wurden, in die Kultur eingeführt wurden.”

Der Politökonomin zufolge braucht es im Wirtschaftssystem des Westens stets ein “kostenloses Außen”, mit dessen Hilfe Profit erwirtschaftet wird. Früher seien es Kolonien gewesen, deren Ressourcen und Menschen ausgebeutet wurden; heute erledigten vor allem Frauen oder migrantisierte Menschen unbezahlte Arbeit. “Gleichberechtigung wird es in diesem System nicht geben”, ist Tecklenburg überzeugt. Dennoch sei sie auch hoffnungsvoll, weil Sorge-Arbeit gesellschaftlich immer anerkannter werde. “In Deutschland klafft allerdings eine Riesen-Lücke zwischen Politik und dem, was gesellschaftlich passiert.”