Von Margot Käßmann
Wer obdachlos ist, lebt extrem ungeschützt. Ich sehe die Menschen in dieser Not in den Parks und hinter den Bahnhöfen. Manche werden aufgefangen durch den Verkauf von Straßenzeitungen oder diakonische Hilfe. Aber gerade in Pandemiezeiten ist die einzige Rettung eben nicht eine warme Mahlzeit oder eine Sammelunterkunft, sondern ein Zimmer für sich allein. In Hannover konnten im Frühjahrslockdown rund 100 Obdachlose drei Monate lang in der Jugendherberge leben. Sie wurden von Diakonie und Caritas begleitet. Miete und Verpflegung wurden von Stadt und Region getragen.
Das Ergebnis war wunderbar. Viele sind wieder „auf die Füße“ gekommen mit Blick auf Gesundheit und Lebensperspektive. Kalle war einer von ihnen. Als Straßenzeitungsverkäufer gibt er sich Struktur und Sinn – mehr ist nicht drin, sein Leben hat für ihn einige Hürden bereitgehalten. Er ist Mitte 50, seit Jahren lebt er mal auf der Straße und mal in einer dieser Massenunterkünfte mit 50 Betten und mehr. „Wie Urlaub“ habe sich das angefühlt in der Jugendherberge. „Endlich wieder Mensch“ sei er gewesen, erzählt er Ich kann das so gut nachvollziehen. Was für eine Wohltat, die Tür hinter sich zu schließen und allein sein zu können in Sicherheit – wenn ich das möchte. Sich täglich waschen zu können, die Kleidung auch. Und sich selbst wieder riechen können im wahrsten Sinne des Wortes. Und zu wissen, andere wenden sich nicht ab, weil ich ungewaschen rieche. Das ist doch ein Menschenrecht! Und ja, auch den Hund, den ich liebe, der mir Halt gibt und die Zuwendung, die jeder Mensch braucht, auch das gehört zur Lebensqualität.
Doch der „Urlaub“ war nach einigen Wochen vorbei. Die Stadt sparte sich fortan das Geld. Also wieder raus auf die Straße, wieder zurück in die Tristesse und zurück zur täglichen Angst vor der Ansteckung inmitten der Vielen in der Bettenhalle. „Da muss man sich nix vormachen, hier sind ja viele ohnehin Risikogruppe“, sagt Kalle.
Es ist schlicht nicht zu verstehen, warum diese grundsätzliche Lebensqualität nicht für alle 50000 Menschen ohne Obdach in unserem reichen Land ermöglicht wird. Da erhalten Hotelbesitzer Überbrückungshilfen vom Staat, damit sie irgendwie durch diese Krise kommen. Aber sie könnten doch auch dasselbe Geld für die Beherbergung von Gästen erhalten, die von Obdachlosigkeit betroffen sind. Denn die Hotels müssen ohnehin beheizt und gelüftet werden, um nicht zu vermuffen. Da geht es doch nicht um Almosen, sondern um eine Win-win-Situation!
Uns ist inzwischen allen bewusst, dass diese Pandemie so schnell nicht verschwinden wird. Mit einer dritten Welle würde sie offenbar noch ansteckender. Gemeinschaftsunterkünfte oder gar ungeschütztes Leben ohne Obdach gefährden Menschen dabei enorm. Deshalb ist es eine Frage der Solidarität in unserem Land, ich würde sagen auch der Christenpflicht und Nächstenliebe, Menschen in Einzelunterkünften unterzubringen.
Deshalb finde ich großartig, dass mehr als 120000 Menschen die Petition für die Unterbringung obdachloser Menschen unterschrieben haben. Gemeinsam mit Volker Macke, Chefredakteur der niedersächsischen Straßenzeitung „Asphalt“ und Sprecher der Straßenzeitungen in Deutschland konnte ich sie als Mitherausgeberin von „Asphalt“ am 23. Februar dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil übergeben. Er hat zugesagt, das Thema mit den Kolleginnen und Kollegen im Amt und den kommunalen Spitzenverbänden zu beraten. Ich hoffe, es gibt im besten Sinne Öffnungsstrategien.
Die Petition mit dem Titel „Gegen das Sterben auf der Straße:?Öffnet die Hotels für Obdachlose!“ finden Sie unter www.change.org/oeffnet_die_hotels