Solidarität und Freundschaft siegen über das Böse – das ist die Botschaft der Kinderoper „Brundibár“. Vor 75 Jahren, am 23. September 1943, wurde sie im KZ Theresienstadt uraufgeführt. Dass sie nicht in Vergessenheit geriet, ist auch einer deutschen Benediktinerin zu verdanken. 55 Mal wurde die Kinderoper in Theresienstadt gespielt, aber nur wenige der kleinen Sänger überlebten den Nazi-Terror.
Auch Komponist Hans Krása wurde in Auschwitz ermordet. Der hatte das Singspiel in zwei Akten bereits 1938 komponiert, unter Verwendung eines Librettos von Adolf Hoffmeister. Darin wollen die Geschwister Pepicek und Aninka für ihre kranke Mutter Milch kaufen, aber sie haben kein Geld. Mit Gesang versuchen die beiden, auf dem Marktplatz Geld zu verdienen. Damit sind sie eine unerwünschte Konkurrenz für den Leierkastenmann Brundibár. Als der sie vertreibt, kommen die Nachbarskinder den beiden zu Hilfe und vertreiben mit ihnen zusammen den bösen Leierkastenmann.
Gedacht war die Kinderoper als Beitrag zu einem Wettbewerb, den das tschechische Schulministerium ausgelobt hatte. Zu einer Entscheidung kam es angesichts der Besetzung der Tschechoslowakei durch Deutschland nicht mehr. Auch Hans Krása wurde im August 1942 nach Theresienstadt deportiert; im schmalen Gepäck hatte er den Klavierauszug seiner Kinderoper.
Das Ghetto Theresienstadt wurde von den Nazis als eine Art „Vorzeige-KZ“ propagandistisch herausgestellt. Wenn sich Besuchergruppen des Internationalen Roten Kreuzes anmeldeten, bekamen sie saubere, beinahe wohnliche Unterkünfte zu sehen. Dass die nur deshalb nicht überfüllt waren, weil ein Teil der Häftlinge kurz zuvor in Vernichtungslager deportiert worden waren, ahnten sie nicht.
Das Leben in Theresienstadt sei eigentlich ganz angenehm, das vermittelte auch der Propagandafilm „Der Führer baut den Juden eine Stadt“. Darin zu sehen ist unter anderem die Schlussszene einer „Brundibár“-Aufführung. Kinder spielen und singen für Kinder, genau wie in der Schule oder in einer Ferienfreizeit – das wollte der Film vermitteln.
Rund 15 000 Kinder waren in Theresienstadt inhaftiert – lediglich 1000 überlebten. Für sie war „Brundibár“ eine kleine Auszeit vom täglichen Terror und zugleich Überlebenshilfe. Der böse Brundibár sei für sie Hitler gewesen, betonten später die überlebenden Schauspieler. Über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr wurde die Oper aufgeführt – mit wechselnder Besetzung, da immer wieder nach Auschwitz deportierte Darstellerkinder durch neue ersetzt werden mussten. Im Herbst 1944 war endgültig Schluss. Mit dem sogenannten Künstlertransport kam am 16. Oktober 1944 auch Hans Krása nach Auschwitz und wurde dort zwei Tage später in den Gaskam-mern ermordet.
Doch seine Kinderoper lebte weiter. Nach dem Krieg hielten ein tschechoslowakischer Kurzfilm und 1965 der mehrfach ausgezeichnete Fernsehfilm „Der vorletzte Akt“ die Erinnerung an Krásas Musik wach. Eine deutschsprachige Adaption von „Der vorletzte Akt“ wurde noch im selben Jahr auch in Westdeutschland ausgestrahlt.
Einen dieser Filme sah die Benediktinerin Schwester Maria Veronika Grüters. Die Lehrerin am Freiburger St.-Ursula-Gymnasium war selbst jüdischer Herkunft und machte es sich zur Aufgabe, „Brundibár“ mit ihren Schülerinnen auf die Bühne zu bringen. Leicht war das nicht, denn der Text war auf Tschechisch und Noten gab es nicht. Aber die tatkräftige Ordensfrau, selbst Musikerin, ließ sich nicht beirren. Anhand der im Film gezeigten Inszenierung rekonstruierte sie die Orchesterfassung und entwickelte einen eigenen Text. Dabei blieb bis zum Schluss unklar, ob die Erben des Komponisten ihr die Aufführungsrechte erteilen würden.
Im Juli 1985 war es dann doch soweit, zweimal führten die Schülerinnen „Brundibár“ auf. „Es gab ziemlichen Wirbel,“ erinnert sich Hans Rudolph, damals stellvertretender Schulleiter des Gymnasiums. Schwester Maria Veronikas „Brundibár“-Fassung erfuhr zahlreiche Aufführungen in ganz Deutschland. Im Jahr darauf wurden die Schülerinnen mit ihrer Lehrerin nach Israel eingeladen. „Eine sehr bewegende Zeit“ und positiv für das deutsch-israelische Verhältnis sei die Reise gewesen, so das Fazit von Hans Rudolph. In Israel lernten die Mädchen auch eine Frau kennen, die als Kind in Theresienstadt auf der Bühne gestanden hatte.
Seit dieser Zeit ist Hans Krásas Kinderoper ein Teil deutscher Erinnerungskultur. Durch ein großangelegtes Projekt der Jeunesses Musicales Deutschland wurde sie mit Unterstützung der Bundesregierung 2001 über hundertmal aufgeführt, wobei Kinderchöre aus ganz Europa mitwirkten.
Heute ist die Rezeption des Werkes eng mit der Erinnerung an den Holocaust verknüpft. Vielfach stellt das Bühnenbild nicht einen tschechischen Marktplatz, sondern ein Konzentrationslager dar, zumindest wird darauf verwiesen. Die Schauspieler tragen Sträflingskleidung, die Unterkünfte ähneln Baracken. In der Inszenierung von Schwester Maria Veronika war das anders: Ihre Bühnenbilder und Kostüme waren bunt – so wie die in Theresienstadt.