Plötzlich ist da so ein Satz, in der Bahn, unter Kollegen oder beim Familienkaffee: „Den Flüchtlingen wird alles nachgeschmissen – so gut hätte ich es auch gerne.“ Oder: „Seitdem die hier wohnen, kann sich eine Frau nachts nicht mehr allein auf die Straße trauen.“ Die Reaktion: Schweigen. Dabei haben viele ein ganz schlechtes Gefühl bei solchen Sätzen – aber was soll man antworten?
Warum wir uns so schwer damit tun, gegen Stammtischparolen anzugehen, hat der Soziologe Klaus-Peter Hufer untersucht. Über sein Training für Menschen, die nicht schweigen wollen, sprach er mit Anke von Legat.
• Warum reagieren wir oft so hilflos auf Stammtischparolen?
Weil die immer ganz plötzlich kommen. Wir sind nicht darauf vorbereitet, dass jemand eine derartig ultimative Behauptung in den Raum stellt. Zudem werden solche Parolen mit einer gewissen Aggressivität vorgetragen und von anderen wie ein Angriff erfahren. Da ist man erstmal vorsichtig.
• Wenn man dann trotzdem nach Antworten sucht, ist der Kopf oft ganz leer…
Das liegt daran, dass Stammtischparolen so stark vereinfachen. Sie sind immer auf eine Gruppe bezogen, die es in dieser Einheitlichkeit gar nicht gibt – „die“ Ausländer, „die“ Flüchtlinge. Außerdem stellen sie Behauptungen in den Raum, die der Sprecher gar nicht belegen will. Darum kann man nicht genauso kompakt antworten, sondern müsste ganz weit ausholen und ins Detail gehen. Das wiederum interessiert den Sprecher aber gar nicht. Er will ja eigentlich nicht diskutieren, sondern klarmachen: Ich gehöre zu den Guten, und „die anderen“ sind die Bösen.
• Hat es dann überhaupt Sinn, zu widersprechen?
Ja, unbedingt! Aus mehreren Gründen: Zum einen signalisiere ich damit, dass ich eine Grenze setze: Das sind meine Werte – Menschenwürde, Gleichheit, Gewaltfreiheit –, und die verteidige ich. Zum zweiten: Gewalt in Worten ebnet Gewalt in Taten den Weg. Seit 1990 sind in Deutschland 178 Menschen aus rassistischen Motiven getötet worden. Vor jedem dieser Morde stand eine Parole. Indem ich reagiere, stelle ich mich vor die Opfer. Und schließlich: Wenn ich widerspreche, ist das auch ein Signal an Dritte: Wir lassen es nicht zu, dass die Stammtische in unserer Gesellschaft die Meinungshoheit übernehmen.
• Welche Reaktion ist denn sinnvoll?
Das kommt sehr auf die Situation an. Grundsätzlich gilt: Authentisch bleiben. Man muss nicht unbedingt schlagfertig sein, sollte aber eigene Argumente ruhig und beharrlich vortragen, nicht belehren, sich nicht provozieren lassen. Durchaus auch emotional werden: „Ich lasse es nicht zu, dass andere schlechtgemacht werden.“ Als Entlastung empfinde ich dabei Luthers Devise „Machs Maul auf, sprichs gerade aus, hör bald auf.“ Also: Ein kurzer Einspruch genügt, um mir selbst treu zu bleiben. Und er bewirkt auch etwas. Das haben mir die Teilnehmerinnen und Teilnehmer meiner Seminare immer wieder bestätigt.
• Hilft es, einige Standardargumente bereitzuhalten, zum Beispiel Zahlen über Kriminalität?
Nicht unbedingt. Mein Gegenüber will sich ja gar nicht von rationalen Argumenten überzeugen lassen. Er blendet störende Fakten einfach aus oder erfindet eigene. Dann ergibt sich eine fruchtlose Ping-Pong-Situation. Für die eigene Meinungsbildung ist es aber natürlich sinnvoll, die politische Debatte zu verfolgen und sich die eine oder andere Zahl zu merken.
• Was ist mit Ironie?
Ironie ja, Zynismus nein. Eine witzige Antwort kann schon entlarvend wirken, zum Beispiel, wenn man auf den Satz „Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg“ antwortet: „Ach, ich wusste nicht, dass du früher in einer Döner-Bude gearbeitet hast.“ Oder auf die Parole „Deutschland den Deutschen“ mit „Und Pizza den Pizzen“. Aber das ist eine schwerere Übung, die nicht jeder beherrschen muss.
• Und wenn ein Freund oder Verwandter solche Parolen äußert?
Das ist ein Zwiespalt zwischen emotionaler Nähe und inhaltlicher Distanz, der häufig vorkommt. Eine einheitliche Empfehlung kann ich dafür nicht geben; jeder muss für sich überlegen, wie er die Beziehung austarieren kann und ob er einen Bruch in Kauf nehmen will.
• Gibt es Situationen, in denen man besser nichts sagt?
Naja – fast jede Reaktion ist besser als gar keine. Wer schweigt, der billigt. Aber natürlich: Wenn mir drei betrunkene Neonazis gegenüberstehen, halte ich lieber den Mund.