Kamminke. Das Porzellanservice aus Swinemünde kam bei den Langheims in Kiel auch lange nach dem Krieg nur zu besonderen Festtagen auf den Tisch. Es war das einzige Andenken an ihr Zuhause vor 1945. Detlef Langheim war fünf, als das Geschirr für die Evakuierung der Familie in Kisten gepackt wurde. Doch der Bombenangriff am 12. März 1945 um 14 Uhr überraschte alle. Langheim weiß noch, wie sie in den Keller stürzten, die Mutter sich schützend über sie warf. "Die Glassplitter zerschnitten ihre Arme", erzählt er.
Nachzulesen ist seine Geschichte wie die von 14 weiteren Menschen, die an diesem Unglückstag in der Stadt starben oder überlebten, in einer neuen App. "Digitaler Friedhof" heißt sie und ist direkt an der Kriegsgräberstätte Golm auf Usedom verfügbar. Biographien, Fotos, Dokumente und Zeitzeugenberichte über die Geschichte des Friedhofs enthält sie. "Gleich am Informationspavillon kann sich jeder die Daten auf sein Smartphone laden", erklärt Bettina Harz, die als eine von Vieren bei der Entwicklung dieses Angebots mitgemacht hat. "Wenn man jetzt bei einem Spaziergang über die Anlage beispielsweise an der Frierenden vorbei kommt, dann blinkt ein Button auf und zeigt, dass es zu der Statue etwas zu lesen gibt. Das kann sich jeder dann in Ruhe anschauen und weitere Informationen anklicken."
Keine Zeit, die Toten zu registrieren
Bettina Harz gehört zum Team der Pädagogen und Wissenschaftler in der Jugendbegegnungs- und Bildungsstätte (JBS) Golm. Kinga Sikora und Mariusz Siemitkowski leiten es, Fabian Schwanzar ist wissenschaftlicher Mitarbeiter. 2005 eröffnete der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge diese Einrichtung ganz in der Nähe des Friedhofs, in der alten Kamminker Dorfschule. Internationale Jugendbegegnungen, friedenspädagogische Projekte, historisch-politische Bildungsarbeit werden hier groß geschrieben.
Alljährlich organisiert das Team zum 12. März auch ein Gedenken an den Luftangriff auf Swinemünde. Das "Vierte Kaiserbad" war mit 30 000 Einwohnern damals das drittgrößte deutsche Ostseebad. "Im März 1945 war Swinemünde überfüllt mit Soldaten und Flüchtlingen", erzählt Harz. Familien in Trecks lagerten im Kurpark. In der Mittagsstunde des 12. März durchfurchten amerikanische Flugzeuge den Himmel, mehr als 3000 Sprengbomben fielen. Der Angriff galt dem Militärhafen. Doch zwischen sechs- und zehntausend Menschen kamen ums Leben. Tausende Leichen fuhr man mit Pferdegespannen und Lastkraftwagen zum nahen 69 Meter hohen Berg Golm. "Es blieb kaum Zeit für die Registrierung der Toten", so die App, die übrigens auch in Polnisch und Englisch angeboten wird. 441 identifizierte Zivilisten wurden beigesetzt, der größte Teil aber anonym begraben: französische Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter aus Frankreich, Polen und den Niederlanden.
Anlässlich des diesjährigen Jahrestages wird die App auf dem Golm um 13.30 Uhr frei geschaltet. Ab 14 Uhr hält Pastor Klaus-Peter Weinhold aus Ahlbeck Besinnung. Der Bansiner Posaunenchor musiziert. Vertreter aus Politik und Gäste sind dabei. Auch Detlef Langheim. Er steht als biografischer Zeitzeuge für Schülergruppen zur Verfügung.