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Neue Koalition will der Pflege mehr Geltung verschaffen

Die Pflegeversicherung steckt tief im Minus. Union und SPD wollen die Probleme mit einer großen Pflegereform angehen. Was genau geplant ist, soll aber eine Kommission erst erarbeiten.

“Pflege kann mehr, als sie bislang darf.” Das sagen nicht nur die Pflegeverbände. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat sich zuletzt massiv dafür eingesetzt, die Aufgabenverteilung im Gesundheitswesen zu verändern und den Pflegeberuf attraktiver zu machen.

Daran will die neue Bundesregierung anschließen. In der Pflegepolitik sollen laut dem am Mittwoch bekanntgewordenen Koalitionsvertrag in den ersten 100 Tagen die bereits von der Ampelkoalition vorgelegten Gesetze zur Pflegekompetenz und der Pflegeassistenz fortgeführt werden.

Mit dem Pflegekompetenzgesetz sollen Pflegekräfte mehr Befugnisse erhalten und damit ihre Qualifikationen besser nutzen. So sollen Pflegefachkräfte zum Beispiel bei der Versorgung von Diabetes, Wundheilungsstörungen oder Demenz mehr eigenständige Entscheidungen treffen können, ohne auf ärztliche Weisung angewiesen zu sein. Das Pflegekompetenzgesetz will zudem neue Wohnformen gezielt fördern. Dazu zählen Wohnprojekte, die Alternativen zum betreuten Wohnen und zu den klassischen Pflegeheimen darstellen – wie zum Beispiel sogenannte Senioren-WGs.

Das Pflegefachassistenzgesetz soll dafür sorgen, dass in den Pflegeberufen mehr Vielfalt entsteht. Pflegefachassistenzpersonen sollen zukünftig vermehrt Aufgaben durchführen, die heute noch von Pflegefachpersonen durchgeführt werden – eine deutliche Entlastung für Letztere. Pflegefachassistentinnen und -assistenten sollen künftig eine bundeseinheitliche, angemessen vergütete Ausbildung durchlaufen. Nach dem noch von der Ampelkoalition vorbereiteten Gesetz sollte ihre Ausbildungszeit bundeseinheitlich auf grundsätzlich 18 Monate festgesetzt werden; es sollte aber auch Verkürzungsmöglichkeiten, insbesondere für besonders berufserfahrene Menschen geben. Die bislang 27 verschiedenen, landesrechtlich geregelten Pflegehilfe- und Pflegeassistenzausbildungen sollten abgelöst werden.

Auch das Gesetz zur Einführung der Advanced Practice Nurse soll schnell auf den Weg gebracht werden. Dabei handelt es sich um gut ausgebildete Pflegekräfte, die in Dörfern und Stadtteilen vor Ort Gesundheitsfürsorge und soziale Beratung anbieten.

Die Koalition hat sich zudem darauf verständig, innerhalb der ersten sechs Monate die Pflegenden von Bürokratie zu entlasten. So sollen Berichtspflichten, Dokumentationspflichten und Kontrolldichten verringert und doppelte Prüfstrukturen abgebaut werden. Die Krankenkassen sollen verbindlich dazu verpflichtet werden, gemeinsame Vertrags- und Verwaltungsprozesse zu entwickeln. Zudem wollen Union und SPD die rund fünf Millionen pflegenden An- und Zugehörigen stärken und mehr Angebote für pflegerische Akutsituationen schaffen.

Das größte Problem bleibt die Finanzierung der Pflege. Im vergangenen Jahr hatten die Pflegekassen ein Minus von mehr als 1,5 Milliarden Euro gemacht. Die Versicherungsbeiträge mussten erneut erhöht werden. Erstmals seit Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung musste eine Pflegekasse Finanzhilfen beantragen. Zugleich ist die Zahl der Pflegebedürftigen zuletzt auf mehr als 5,8 Millionen gewachsen. Die Situation wird sich noch verschärfen, wenn die Babyboomer nach und nach in Rente gehen.

Konkrete Festlegungen, wie die Koalition die Pflege finanziell auf sichere Füße stellen will, finden sich im Vertrag nicht. Kein Wort zur von Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) vorgeschlagenen privaten Pflegezusatzversicherung oder zu einer Bürgerversicherung. Kein Wort auch dazu, wie sich die steigenden Eigenanteile der rund 750.000 Altenheimbewohner drosseln lassen.

Zwischenzeitlich hatte es Signale aus den Koalitionsverhandlungen gegeben, dass versicherungsfremde Leistungen wie die Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige und die Ausbildungsumlage aus Steuergeldern gezahlt werden sollten. Das alles ist nicht mehr im Koalitionsvertrag enthalten. Angekündigt wird “eine große Pflegereform”. Inhalte soll eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Ministerebene unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände erarbeiten. Diese soll ihre Ergebnisse noch in diesem Jahr vorlegen.