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Nach Magdeburg: Neue Debatte über Sicherheitsbehörden

Der mutmaßliche Täter von Magdeburg passt in kein Raster. Die Bundesinnenministerin verspricht, dass alle seine bisherigen Äußerungen untersucht werden. Die FDP fordert eine Neuordnung bei den Sicherheitsbehörden.

Nach dem Anschlag von Magdeburg gibt es eine neue Debatte über die Sicherheitsbehörden in Deutschland und ihre Zusammenarbeit. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte zu, dass die Bundesbehörden bei den Ermittlungen “jeden Stein umdrehen”. “Es gilt, alle Erkenntnisse zusammenzufügen, die ein Bild über diesen Täter ergeben, der in kein bisheriges Raster passt”, erklärte sie am Sonntag in Berlin. “Dieser Täter hat unfassbar grausam und brutal gehandelt – in der Begehungsweise wie ein islamistischer Terrorist, obwohl er ideologisch offenbar ein Islamfeind war.”

Die Ansichten und Äußerungen, die der Täter kundgetan habe, würden ebenso untersucht wie die Hinweise und Verfahren, die es bei verschiedenen Behörden und der Justiz gegeben habe, so die Ministerin.

Unterdessen forderte der Vizevorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle, eine Neuordnung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden. “Derzeit überschneiden sich zu viele Behörden in Bund, Ländern und Kommunen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben im Bereich der Inneren Sicherheit”, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Montag). “Die Befugnisse unserer Sicherheitsbehörden sind daher unübersichtlich und oftmals unklar.”

Kuhle pochte auf eine Neufassung des Nachrichtendienstrechts: “Um angesichts von inneren und äußeren Bedrohungen frühzeitig handeln zu können, brauchen auch die deutschen Nachrichtendienste klarer formulierte Rechtsgrundlagen.” Er forderte zugleich einen bundesweiten Mindeststandard für Sicherheitskonzepte.

Auch der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke, kritisierte fehlenden Behördenaustausch und falsche Schwerpunkte bei Sicherheitsgesetzen. “Wir sprechen zu wenig bei den Behörden untereinander. Der Datenaustausch ist nicht automatisiert. Der Datenschutz verhindert, dass viel mehr Informationen fließen”, so Kopelke im Gespräch mit dem TV-Sender phoenix.

Nach einer Trauerphase müsse intensiv darüber gesprochen werden, welche Sofortmaßnahmen ergriffen werden müssten. Er frage sich, warum nicht vor dem Anschlag in Magdeburg das Nötige getan worden sei, wo doch sehr viele Behörden im Vorfeld den Täter im Visier gehabt hätten. “Das muss viel besser standardisiert und automatisiert stattfinden.”

Seit langer Zeit warte man polizeilich darauf, schneller auf Erkenntnisse in anderen Regionen Deutschlands zurückgreifen zu können. “Das ist etwas, was uns zunehmend frustriert. Wir würden viel schneller und niedrigschwelliger einschreiten wollen”, erklärte der GdP-Vorsitzende. Die Vorratsdatenspeicherung etwa brenne den Polizeibeamten seit Monaten unter den Nägeln, doch der Gesetzgeber reagiere nicht. “Wer Anschläge androht, wer hetzt, wer Leute diffamiert und Straftaten begeht, der muss vom Staat verurteilt werden und eine Strafe spüren, um sein Verhalten zu ändern.”

Der Sicherheitsexperte Stefan Bisanz übte heftige Kritik an der deutschen Sicherheitsorganisation. “Wir sind kein Präventivvolk, sondern wir reagieren immer. Wir warten auf den Anschlag, wir warten auf die Toten, und daraus ziehen wir unsere Berechtigung, Maßnahmen zu treffen. Das halte ich für einen eklatanten Strukturfehler in der Sicherheitslandschaft Deutschlands”, sagte Bisanz, der etwa für die Stadt Köln die Sicherheitskonzepte des Public Viewing bei der Fußball-Europameisterschaft erstellte, im Fernsehsender phoenix.

Stattdessen sollte man schleunigst dem Personalmangel in nahezu allen Sicherheitsbereichen entgegenwirken. “Die Parteien müssen die Unterbesetzung bei Polizei- und Ordnungsbehörden, bei Staatsanwaltschaften und Gerichten angehen”, so Bisanz.

Aktuell werde viel über die Motive des Täters gerätselt. Es müsse jedoch verstärkt darum gehen, die Sicherheit im Land zu verbessern. “Die ganzen Ausschüsse über Amri (den Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz 2016) haben so viel Geld gekostet – da hätten sie zehn Jahre lang jeden Weihnachtsmarkt in Deutschland schützen können”, meinte Bisanz. Stattdessen müssten die staatlichen Gelder in die Verbesserung der Sicherheitskonzepte fließen.

In Magdeburg habe es gravierende Versäumnisse gegeben. “Es war ein eklatanter handwerklicher Fehler der Behörden vor Ort. Das ist das kleine Einmaleins der Absicherung einer solchen Veranstaltung”, so der Sicherheitsexperte. Es gebe zwar keine hundertprozentige Sicherheit, “aber das, was ich machen kann, muss ich absichern, und das ist hier nicht getan worden, das steht fest.”