Die Verwendung des Apartheid-Begriffs für den Staat Israel hat der evangelische Münchner Stadtdekan Bernhard Liess kritisiert. Wer den Begriff verwende, setze Israel auf eine Stufe mit Kolonialherrschaften des 19. Jahrhunderts, sagte der Theologe, der auch Sprecher des Münchner Rats der Religionen ist, am Freitag dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Das setzt eine Assoziationskette mit fatalen Konsequenzen in Gang, die letztlich darin gipfelt, dass der Staat Israel ein Fremdkörper sei, der entfernt werden müsse“, warnte Liess.
Liess richtete seine Kritik gegen eine Resolution des Zentralausschusses des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK), die bei dessen bis Mittwoch (24. Juni) dauernden Tagung in Johannesburg verabschiedet wurde, sowie gegen die Verteidigung des Begriffs durch den ÖRK-Vorsitzenden und früheren bayerischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm.
Dieser hatte auf seinen Facebook-Post zum Beschluss von Johannesburg zahlreiche kritische Kommentare erhalten, die eine Verwendung des Apartheid-Begriffs für den Staat Israel ablehnten. Bedford-Strohm erklärte daraufhin, dass der ÖRK-Beschluss nichts mit Antisemitismus zu tun habe. Das Eintreten für die Menschen in Gaza komme hingegen „aus den gleichen universalistischen Werten wie die unbedingte Solidarität mit Jüdinnen und Juden in aller Welt“, die derzeit wegen des Handelns der israelischen Regierung antisemitischen Angriffen ausgesetzt seien.
Der Münchner Stadtdekan kritisierte diese Äußerung: „Sie unterstellt, dass am Ende des Tages Jüdinnen und Juden selbst schuld sind, wenn sie angegriffen werden.“ Allgemein könne er die „Besessenheit für historische Vergleiche“ nicht nachvollziehen, weil sie immer in Sackgassen führten, sagte der Stadtdekan dem epd. Der Begriff der Apartheid werde dem Unrecht und dem Leid, das dem palästinensischen Volk unbestritten widerfahre, nicht gerecht. Stattdessen werde es durch solche Verurteilungen durch Gremien wie den ÖRK „zunehmend schwieriger, differenziert und ausgewogen“ über die Situation in Israel und Palästina zu sprechen.
Das belaste auch den interreligiösen Dialog, bei dem derzeit häufig nur Minimalkonsense zu erreichen seien. So habe der Münchner Rat der Religionen zuletzt eine kurze gemeinsame Erklärung zur Lage in Israel und Palästina abgegeben, die das Leid beider Seiten anerkennt. Trotz vieler unterschiedlicher Sichtweisen sei das als Konsens möglich: „Es gibt keine unterschiedliche Bewertung von Leid: Jeder tote Mensch ist eine Katastrophe“, sagte Liess. Nur mit dieser Haltung könne man eine Dehumanisierung des Konflikts verhindern. (2114/27.06.2025)