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Monatelang keine Antwort

Pfarrer Jörg Michel aus Hoyerswerda protestierte mit einem Hungerstreik am 23. Mai gegen das Verhalten des Ausländeramtes des Landkreises Bautzen. Er stand vor dem Landratsamt mit einem Plakat mit der Aufschrift: „Herr Landrat, ich warte auf Antwort!“ Michel hatte im Januar und Mai eine Dienstaufsichts­beschwerde gegen den Vize-Landrat, Udo Witschas (CDU), unter anderem wegen Verletzung des Datenschutzes bei Landrat Michael Harig (CDU) eingereicht. Darauf ­erhielt er keine Reaktion – bis zu seinem Hungerstreik. Da reagierte der Landrat schriftlich. Im Interview mit Andreas Kirschke erzählt Jörg Michel, der auch Sprecher des Bürgerbündnisses „Hoyerswerda hilft mit Herz“ und Flüchtlingsbeauftragter des Kirchenkreises schlesische Oberlausitz ist, warum eine pragmatische Zusammenarbeit mit dem Ausländeramt derzeit nicht möglich sei.

Pfarrer Michel, warum das drastische Mittel Hungerstreik?

Weil es in dieser Lage angemessen ist. Die Fälle der Ignoranz und Arroganz häufen sich. Das Bürgerbündnis „Hoyerswerda hilft mit Herz“ begleitet seit 2014 Asyl­suchende im Alltag. Die Zusammenarbeit mit dem Ausländeramt des Landkreises Bautzen/Bereich Leistungen ist zurzeit an einem Tiefpunkt. Ausnehmen möchte ich ausdrücklich den Bereich Integration.

Der Hungerstreik verwies auf zwei konkrete Fälle. Worum geht es im ersten Fall?

Im konkreten Fall ging es 2019 um eine sechsköpfige Familie. Alle vier Kinder sind in Deutschland ­geboren. Durch Kürzungen des Aus­länderamtes kam die Familie in eine Notlage. ­Unsere Kirchengemeinde half mit einem Darlehen aus. Bei der Weitergabe des Darlehensvertrages durch das Ausländeramt an unbeteiligte ­Außenstehende wurden die persön­lichen Daten der Familie nicht ­geschwärzt. Das ist für uns nicht ­hinnehmbar und eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte.

Wie zu erwarten wurde durch einen Gerichtsbeschluss für die ­betroffene Familie die Leistungskürzung und die Umstellung auf Lebensmittelgutscheine wieder rückgängig gemacht. Die Familie hat das Not­darlehen wie vereinbart in Raten ­zurückgezahlt. Nach 18 Jahren und einem langen ­Leidensweg hat sich die Familie das Aufenthaltsrecht erstritten – mit Hilfe der Gerichte und vieler ehrenamt­licher Helfer. 

Am 26. März 2019 schrieben Sie als Pfarrer der Kirchengemeinde eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen das Ausländeramt an den verantwortlichen Beigeordneten Udo Witschas an das Landratsamt. Welche Antwort haben Sie erhalten?

Am 12. April 2019 schrieb Udo ­Witschas der Kirchengemeinde: „Die Familie ist jahrelang ihrer Pflicht zur Mitwirkung bei der Identitätsklärung und zur Passbeschaffung nicht nachgekommen … Die für die Leistungs­gewährung zuständige Mitarbeiterin des Ausländeramtes hat durch ihre ­Ermittlungen keine datenschutzrechtlichen Vorschriften verletzt … Es trifft nicht zu, dass die betroffene Familie seit März 2019 keine Leistungen erhalten hat. Weiterhin entspricht es nicht den Tat­sachen, dass Leistungseinschränkungen ohne schriftliche Begrün-dung, also ohne Bescheid ergangen seien. Dies war zu keiner Zeit der Fall.“ Für uns als Kirchengemeinde war diese Antwort nicht hinnehmbar. Denn sie ging nur unzureichend auf den Datenschutz ein.

Wie ging es weiter?

Auf unseren erneuten Protest reagierte Udo Witschas nicht mehr. Eine Beschwerde beim Innenministerium wurde an die untere kommunale Ebene zurückverwiesen. Daher gab es Anfang Januar 2022 ein Schreiben ­unsererseits an Landrat Michael Harig, das im Amt nicht mehr auffindbar war. Nun tragen wir dieses ­An­liegen der neuen Datenschutz­­be­auftragten des Freistaates Sachsen, ­Juliane Hundert, vor. Wir bitten sie um eindeutige Klärung. 

Nochmals zur Klarstellung: Ich ­kritisiere nicht die Prüfung der ­Zu­lässigkeit eines Darlehensvertrages durch das Ausländeramt durch ­Weitergabe des Vertrages an die Landeskirche. Ich kritisiere auch nicht die Auskunftspflicht der Familie gegenüber dem Ausländeramt. Ich zeige eine Verletzung des Datenschutzes an, da bei der Weitergabe des Vertrages an unbeteiligte Außenstehende persönliche Daten der Familie nicht geschwärzt wurden. 

Welches war der zweite Grund für den Hungerstreik?

Ein Asylsuchender aus Hoyerswerda sollte sich dringend im Ausländeramt in Kamenz melden. Da er noch keine Leistungen bezog, musste er sich dort registrieren lassen. Er hatte aber keine Mittel, dort hinzufahren. Das Ausländeramt sah sich außerstande, eine Lösung zu gestalten. Unser Bürgerbündnis unterstützte ihn spontan mit 100 Euro für Essen und Fahrtkosten. Danach beantragten wir beim Ausländeramt die Erstattung. Dies wurde vom Amt grundsätzlich abgewiesen – was aber aktuell merkwürdig erscheint.

Warum?

Ende März wurden durch das Ausländeramt Auslagen für ukrainische Flüchtlinge erstattet. Deshalb lassen wir in Kooperation mit dem Sächsischen Flüchtlingsrat den ­Anspruch auf Erstattung durch das sächsische Justizministerium prüfen. 

Im Januar 2022 schrieben Sie eine Dienstaufsichtsbeschwerde an Landrat Michael Harig (CDU) gegen Udo Witschas, den Verantwort­lichen für das Ausländeramt.

Darin kritisierte ich das Verhalten von Udo Witschas – die Verweigerung von ordentlichen Antworten auf entsprechende Anfragen. Diese Beschwerde per Einschreiben und per ­­E-Mail kam angeblich nicht an. ­Daraufhin schrieb ich am 6. Mai – wieder per Einschreiben und per E-Mail – erneut die Dienstaufsichtsbeschwerde mit der Bitte um schriftliche Antwort bis 20. Mai. Nichts rührte sich. Erst bei meinem Hungerstreik am 23. Mai räumte das Landratsamt ein: Es gab einen Posteingang im Januar, jedoch sei mein Schreiben von damals nicht mehr auffindbar.

Wie werden Sie weiter vorgehen?

Die Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Udo Witschas wird an die ­Präsidentin der Landesdirektion Sachsen, Regina Kraushaar, weitergeleitet. Dort sollen disziplinarische Schritte geprüft werden. 

Landrat Michael Harig war noch am Tag des Hungerstreiks bei Ihnen und bot Ihnen ein Gespräch an. Sie lehnten ab, warum? 

Offensichtlich war der Landrat über die beiden konkreten Einzelfälle und den Inhalt der Dienst-aufsichts­beschwerde gar nicht informiert. Wenn der Konflikt den Rang einer solch qualifizierten ­Beschwerde erreicht hat, dann geht es um klare schriftliche Antworten. Gespräch ja, aber dann einen kritischen Austausch mit allen Vertretern der Bürgerbündnisse, die sich um die Integration der Flüchtlinge bemühen – auf Augenhöhe und unter Beteiligung der Öffentlichkeit. Denn die repressive Arbeit des Ausländeramtes fällt auf den ganzen Landkreis zurück.

Wie reagierten die anderen Bürgerbündnisse im Landkreis Bautzen auf den Hungerstreik?

Sie sind froh, dass solche Missstände endlich auch einmal öffentlich wahrgenommen werden. Die Engagierten in Bautzen, Kamenz, Wehrsdorf und in weiteren Orten können leider solche Erfahrungen zahlreich bestätigen und ergänzen. Und sie haben erlebt, dass es auch anders geht. Mit dem früheren ­Leiter des Ausländeramtes, Herrn ­Eibisch, gab es eine sehr pragmatische, sachliche und immer am Einzelfall orientierte Zusammenarbeit. Er wurde 2019 durch eine ­andere Person ersetzt. Eine gute Zusammenarbeit ist leider derzeit nicht möglich. Viele ehrenamtliche Helfer sind verschlissen, resigniert und verzweifelt. Das sollte nicht im Sinne der Demokratie und eines Rechtsstaates sein.

Stellungnahme des Landratsamtes Bautzen vom 23. Mai (Auszugsweise)

Eine Erstattung von Privatdarlehen ist ­jedoch durch das Ausländeramt rechtlich nicht möglich. Zudem galt die ­Beschwerde der Weitergabe von Daten bei der Prüfung des Anspruchs auf Erstattung. Diese Frage wurde ­bereits im Jahr 2019 beantwortet, ein fehlerhaftes Verhalten war nicht erkennbar … Mit­arbeiter des Landratsamtes boten dem Pfarrer heute … ein Gespräch zur Lösung der Fragen im Landratsamt an. Dieses wurde durch den Pfarrer leider ab­gelehnt. Auch ein Gesprächsangebot des Landrates, der den Pfarrer persönlich antraf, wurde nicht angenommen. Stattdessen wurde eine schriftliche Antwort erwartet. Diese wurde nun zeitnah erarbeitet und überreicht. Für die ausgereichten Darlehen hat der Landrat eine Erstattung zugesagt. Landrat Harig: „Ich bedaure sehr, dass für den Pfarrer der ausgerufene Hungerstreik das einzig probate Mittel zur ­Lösung der angesprochenen Probleme zu sein scheint. Ein heute durch meine Mitarbeiter und mich kommuniziertes Gesprächsangebot zur Klärung der Fragen wurde leider ablehnt – und auf eine schriftliche Antwort bestanden.“ Das Schreiben wurde dem Streikenden in der Mittagszeit überreicht. „Ich hoffe, dass dieses geeignet ist, wieder zurück zu einer guten Zusammenarbeit zu finden“, so Landrat Harig, der sein Gesprächsangebot erneuerte.  

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