Die afrikanische Gospel-Band „Living Worshippers“ empfängt uns Gottesdienstbesucherinnen und -besucher in der Lutherkirche im Dortmunder Norden. Sie gibt den Rhythmus vor, zu dem wir auf den Plätzen wippen. Kamerunische Studierende haben die Band vor einigen Jahren gegründet; seit Langem schon proben die Sängerinnen und Sänger in den Räumen der Dortmunder Lydiagemeinde. Sie leiten den „Internationalen Gottesdienst“ ein, der etwa einmal monatlich hier gefeiert wird.
Auf dem Weg zur Kirche muss ich einen Umweg fahren – wegen Dreharbeiten sind Teile der Nordstadt gesperrt. Viele haben das Quartier für sich schon entdeckt, nicht nur der „Tatort“. Auch die evangelische Lydiagemeinde sieht die Chancen in dem multikulturellen Stadtteil und reagiert darauf.
So haben sich drei Gemeinden schon vor zehn Jahren zusammengeschlossen. Das Gebiet erstreckt sich über die gesamte nördliche Innenstadt vom Dortmunder Hafen über den Nordmarkt bis hin zum Borsigplatz. Im Dortmunder Norden leben mehr als 53 000 Menschen, beinahe 35 000 haben einen Migrationshintergrund. Sie kommen aus mehr als 140 Nationen, darunter sind auch viele Christinnen und Christen. Und immer mehr Migrantinnen und Migranten wollen sich taufen lassen.
In einem mehrjährigen Programm will die Gemeinde ihre Internationalität stärker sichtbar machen. „Gemeinsam Kirche sein – Internationale Gemeinde werden“, lautet das Konzept. Dazu gehört eine engere Zusammenarbeit mit Gemeinden anderer Sprache und Herkunft, die in den kirchlichen Räumen beheimatet sind und ihre Gottesdienste in koreanischer und tamilischer Sprache feiern.
Die vielen Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern mit unterschiedlichen Glaubenstraditionen sind der große Reichtum dieser Gemeinde, der bisher aber nur selten im Gemeindeleben sichtbar wurde.
Jetzt kommen sie zu Nachbarschaftstreffen zusammen; dabei gibt es viel Gelegenheit, um miteinander zu reden und sich kennenzulernen. Alle 14 Tage trifft sich samstags ein „Internationaler Bibelkreis“. Die Leitung hat eine afrikanische Lehrerin übernommen, die Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. Ihre Gesprächsführung erinnert manche an den Schulunterricht. Aber der Austausch über die Bibel und welche Bedeutung sie für das alltägliche Leben hat, wird geschätzt.
Regelmäßig finden „Internationale Gottesdienste“ statt. Eine „bunte“ Gottesdienst-Gemeinde betet in verschiedenen Sprachen und wenn in kleinen „Murmelgruppen“ über einen zentralen Bibeltext geredet wird, ist das ein Austausch zwischen vielen Kulturen und Altersgruppen.
Neugier auf die Geschichten der anderen
„Miteinander statt Nebeneinander – Nehmt einander an, wie Christus uns angenommen hat“, lautet das Thema an diesem Sonntag. Am Eingang werden alle Besucherinnen und Besucher fotografiert – ihre Bilder sind am Ende in Klingelschilder montiert, die anschaulich machen, wie viele Nationen in der evangelischen Kirchengemeinde anzutreffen sind.
„Wie leben wir in unseren Nachbarschaften“, fragt Pfarrerin Birgit Worms-Nigmann. In kleinen Gruppen wird darüber diskutiert. In meiner „Murmelgruppe“ sieht das sehr verschieden aus: Es ist die Rede von Hochhäusern mit zunehmender Anonymität, aber auch von Wohngemeinschaften und einer Flüchtlingsunterkunft.
„Als meine deutsche Nachbarin bei mir geklingelt hat, wollte sie sich Putzmittel ausleihen“, berichtet ein junger Mann aus Kamerun noch immer erstaunt. Schließlich beweist eine iranische Familie in gutem Deutsch, wieviel Integrationswillen sie in ihre neue Nachbarschaft einbringt. Seit 22 Monaten leben sie in Dortmund und haben sich hier auch taufen lassen. Zainab, die achtjährige Tochter der Familie, trägt stolz die Grubenlampe, die die Kinder an der Osterkerze anzünden, bevor es in die Kinderkirche geht. Als ihr Bruder malen soll, was für ihn wichtig ist, sind zwei Dinge gut zu erkennen: Die Kirche – und der schwarzgelbe Fuß, denn: „Ich bin BVB-Fan“, sagt er stolz.
„Unsere Kinderkirche ist schon lange bunt. Jetzt soll die übrige Gemeinde bunter werden“, betont Carola Theilig, die ebenfalls Pfarrerin in der Gemeinde ist. Diese Entwicklung betrachten manche Gemeindeglieder mit Skepsis: Ob man sich am Ende noch wiedererkennen kann? Ob alle ihren Platz finden und sich wohl fühlen in der neuen „Internationalen Gemeinde“?
Bei dem Gottesdienst ist jedenfalls viel Begeisterung zu spüren – und Neugier auf die Geschichten der anderen. Am Ende können wir sogar einige Sätze auf tamilisch singen. Denn Kirchenmusiker Tobias Schneider hat gemeinsam mit Benjamin Patrick aus der tamilischen Gemeinde begonnen, einige Lieder zu übersetzen. Die erklingen jetzt zweisprachig. Das „Vaterunser“ sprechen alle in ihrer Muttersprache. Deutsch, Englisch, Arabisch, Persisch, Kurdisch, Französisch…
Die Lydiagemeinde ist auf dem Weg, die 62 Nationen in ihrer Gemeindegliederkartei sichtbar und hörbar werden zu lassen. Dass man gemeinsam Kirche sein will, ist schon jetzt zu spüren.
Die Autorin, Beate Heßler, ist Regionalpfarrerin im Amt für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung (MÖWe) der westfälischen Kirche und begleitet das Projekt „Gemeinsam Kirche sein“ in der Dortmunder Lydia-Gemeinde.