„Also, wenn ich vorher gewusst hätte, dass wir hier so vielen geistig und körperlich behinderten Menschen begegnen, dann hätte ich mich doch lieber für ein anderes Erholungszentrum entschieden.“ – Diese Rückmeldung einer weißrussischen Lehrerin aus einem Dorf nahe Tschernobyl veranlasste die Mitarbeitenden des Kinderzentrums Nadeshda in Belarus, das 80 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Minsk am Wilejkasee bei Wilejka liegt, gemeinsam mit ihren deutschen Partnern von der westfälischen Männerarbeit im Institut für Kirche und Gesellschaft in Schwerte dazu, ein neues Projekt zu starten. Es versucht, ein inklusives Umfeld für Menschen mit und ohne Behinderungen zu schaffen, von dem alle für sich profitieren können.
Den Projektantrag, den der Sozialdienst evangelischer Männer e.V. im Rahmen des „Förderprogramm Belarus“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung stellte, wurde bewilligt und startete im Frühsommer dieses Jahres. Das zum achten Mal von der Bundesregierung aufgelegte Förderprogramm ermöglicht deutsch-belarussische Partnerschaftsprojekte zur Weiterentwicklung der sozialen Arbeit und der nachhaltigen regionalen Entwicklung in Belarus, die in enger Zusammenarbeit von Nichtregierungsorganisationen (NRO) aus beiden Ländern entwickelt werden und Leuchtturmcharakter haben, informiert das mit der Durchführung beauftragte Internationale Bildungs- und Begegnungswerk (IBB) in Dortmund.
Sie leiden oft unter Krankheiten und einer starken Beeinträchtigung ihres Immunsystems: Kinder und Jugendliche, die im Südosten von Belarus nahe Tschernobyl aufwachsen und auch über 30 Jahre nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl unter den Spätfolgen leiden. Deshalb gibt es weiterhin ein staatlich gefördertes Erholungsprogramm für diese Kinder und Jugendlichen.
Diese Zielgruppe macht auch weiterhin den Grundcharakter des Kinderzentrums Nadeshda aus. Die Kinder und Jugendlichen erholen sich mit Begleitpädagogen für jeweils 24 Tage im Kinderzentrum. In den letzten Jahren sind aber als zweite größere Zielgruppe die Eltern-Kind-Gruppen mit Kindern mit körperlicher und geistiger Behinderung hinzugekommen. Dies sind Erholungsaufenthalte für ganze Familien.
Das Zusammentreffen der beiden Zielgruppen verläuft nicht ohne Konflikte, wie auch der Direktor des Zentrums, Wjatscheslaw Makuschinskij, bemerkt: „Manche von den Begleitpädagogen der Tschernobylkinder beschweren sich darüber, dass sie während ihres Aufenthalts mit behinderten Kindern und Jugendlichen konfrontiert werden.“
Als deutscher Experte für das neue Projekt, das dem entgegenwirken will, konnte Harald Kolmar aus Ebsdorfergrund bei Marburg in Hessen gewonnen werden. Für den Vorsitzenden des Vereins für Entwicklung, Inklusion und Kommunikation mit Ost und Süd (EIKOS) ist das Projekt ein sehr interessantes, aber auch anspruchsvolles Unternehmen: „Zur Entwicklung eines inklusiven Umfeldes gehört mehr als guter Wille. Es geht um die Erlangung einer Fähigkeit, inklusiv zu denken. Ein langer Prozess.“
Im ersten Schritt ging es um eine Bestandsaufnahme. Gemeinsam wurden dazu drei Fragebögen entwickelt, die sich an die Mitarbeitenden des Kinderzentrums, die Begleitpädagogen der Tschernobylkinder und die Eltern der behinderten Kinder richten.
Das Projekt, das noch bis 2019 gehen wird, gehört im Rahmen des „Förderprogramm Belarus“ in die Kategorie „Entwicklung sozialer Partnerschaft sowie Innovationen im Gesundheits- und Sozialsystem“. Insgesamt zwölf Projekte beschäftigen sich mit der Zusammenarbeit von zivilgesellschaftlichen Strukturen mit staatlichen Einrichtungen. Oft benachteiligten Menschen in Belarus – Behinderte, Aids-Kranke, straffällig gewordene Jugendliche und anderen – soll Hoffnung für ihr Leben gegeben werden.
IBB-Geschäftsführerin Astrid Sahm freut sich über die vielen sozial engagierten Männer und Frauen aus Belarus und Deutschland.
Artikel teilen:
Mit- statt gegeneinander
Im Kinderzentrum Nadeshda in Weißrussland wird beispielgebend versucht, ein inklusives Umfeld für Menschen mit und ohne Behinderungen zu schaffen
