Ein Streit entbrannte um die Glocke im Kirchturm in Herxheim, die Adolf Hitler gewidmet ist. Im 750-Einwohner-Ort in der Pfalz demonstrierte die NPD für den Verbleib der sogenannten „Hitlerglocke“, die Gemeinde entschied anders. Kirchenarchitektur und liturgische Gegenstände wurden von der Ideologie des Nationalsozialismus beeinflusst. Wie viele Relikte aus der NS-Zeit es gibt, ist nicht bekannt. Sie aufzuspüren und offen damit umzugehen, fordert der Kulturbeauftragte der EKD.
Von Johann Hinrich Claussen
Wie lang der Schatten des Nationalsozialismus immer noch reicht, haben in den vergangenen Wochen einige Kirchengemeinden erlebt. Die öffentliche Debatte über Kirchenglocken mit Hakenkreuzen und Hitler-Parolen oder über antijüdische Schmähplastiken an mittelalterlichen Kirchen („Judensäue“) haben an etwas erinnert, was längst vergessen war. Auch wenn es für die Beteiligten sehr überraschend gekommen und keineswegs unanstrengend verlaufen sein mag, ist dies doch zu begrüßen. Denn als Erinnerungsgemeinschaft muss sich die evangelische Kirche auch zu den dunklen Seiten ihrer Geschichte bewusst verhalten.Dazu aber muss sie sich erst einmal ein Gesamtbild verschaffen. Das ist gar nicht so einfach, denn das Thema „Kulturelle Folgen des NS-Regimes in der Kirche“ ist komplex und enthält mehrere Unterfragen: Welche Kirchenbauten (oder Friedhöfe) folgen einer nationalsozialistischen Architektur-Idee? Wo gibt es noch Relikte von NS-Kunst in Kirchen? Wo wurde während des Dritten Reichs verfemte Kunst fortgeschafft? Gibt es in evangelischen Kirchen oder Archiven „Raubkunst“? Und wo war die Kirche für bedrängte Künstler und Architekten ein Ort, an dem sie weiterhin wirken konnten? Im kommenden Jahr plant das Kulturbüro der EKD gemeinsam mit der Evangelischen Akademie Loccum eine Tagung zu diesen Fragen.Es ist leider keine Überraschung, dass es gesamt- oder landeskirchliche Dateien und Inventarlisten nicht gibt, die einem darüber schnell Auskunft geben könnten. Dafür ist die evangelische Kirche zu dezentral organisiert. Auch wenn man wohl davon ausgehen könnte, dass es sich nicht um sehr viele Fälle handeln dürfte, ist doch jeder Einzelfall zu interessant und irritierend, als dass man sich mit dem bisherigen Unwissen zufrieden geben sollte. Recherche und Aufklärung sind deshalb die ersten wichtigen Schritte. Was haben wir da eigentlich in unserer Kirche und wessen Geistes Kind ist es? Auf diese Frage muss jede Kirchengemeinde Auskunft geben können.Doch wie geht man damit um, wenn man etwas findet? Soll man eine „Judensau“ abschlagen und in ein Museum bringen? Soll man eine Hitler-Glocke aus dem Gebrauch nehmen oder einen NS-infizierten Kirchenbau abtragen? Darauf wird man Fall für Fall unterschiedliche Antworten finden müssen – und dies in Absprache mit staatlichen Stellen wie dem Denkmalschutz. Sinnvoll ist es auch, wenn es zum Beispiel um antijudaistische Schmähplastiken geht, das Gespräch mit der jüdischen Gemeinde zu suchen. Die eine Lösung für alle wird es wohl nicht geben. In einigen Fällen könnte eine gute Information genügen, bei anderen wäre eine künstlerische Kommentierung sinnvoll. Es kann aber auch Fälle geben, da muss man sich trennen und die gottesdienstliche Nutzung eines Gegenstandes oder Gebäudes einstellen.Wie immer man sich aber entscheidet, ist es in jedem Fall unerlässlich, die eigene Gemeinde und die Öffentlichkeit sorgfältig und ehrlich darüber zu informieren. Denn nur über das, was wir kennen, können wir uns ein eigenverantwortetes Urteil bilden.