Wustrow. „Ich stehe staunend vor der Zahl 80“, sagt Kirchenmusikdirektorin (KMD) Anne-Dore Baumgarten in Wustrow. Die Lebensgeister sind ungebrochen, und sie selbst kann ihr Alter nur als Geschenk sehen – man denkt, sie ist noch voll im Dienst: Gerade sind die Ahrenshooper Orgeltage mit drei Mittagsmusiken mit ihr an der Orgel und drei von ihr organisierten Konzerten, eins davon spielt sie traditionell selbst, zu Ende gegangen. Die Orgeltage wurden mit einem Festgottesdienst beendet, in dem die „Fischländere Kantorei“ unter ihrer Leitung mitwirkte.
Jede Woche trifft sich die Kantorei zur Probe. Den Chor hat sie schon gegründet, als sie noch Dozentin am Predigerseminar der Evangelischen Kirche der Union (EKU) in Wittenberg und Kirchenmusikerin an der Schlosskirche war.
Voller Vorfreude auf den Ruhestand
Das war Mitte der 1990er-Jahre. Da hatte sie ein sanierungsbedürftiges Haus in Wustrow auf dem Fischland geerbt und – voller Vorfreude – beschlossen, hier ihren Ruhestand zu verleben. Den bereitete sie von langer Hand vor, unter anderem dadurch, dass sie schon in dieser Zeit Menschen zum gemeinsamen Singen in Wustrow einlud. „Manchmal bin ich von Wittenberg nach Wustrow gefahren, habe auf dem Bau nach dem Rechten gesehen, die Chorprobe geleitet und am anderen Morgen wieder zurück zur Arbeit“, erinnert sie sich. Das sind immerhin an die 330 Kilometer eine Strecke.
Fröhliches Fest zum 80.Geburtstag
Als sie mit Eintritt in den Ruhestand 2003 ganz nach Wustrow zog, war der Grundstock für den Chor schon gelegt, zu dem heute rund 30 Frauen und Männer gehören. An ihrem 80. Geburtstag gestalteten die Chormitglieder für sie ein fröhliches Fest, nachdem sie im Gottesdienst in Prerow gesungen hatten.
Anne-Dore Baumgarten wurde in Ueckermünde am Reformationstag 1941 geboren. Durch den Geburtstag an diesem Tag hat sie ein besonderes Verhältnis zu Martin Luther. Sie wuchs in Magdeburg auf und sang schon als Elfjährige im dortigen Domchor, in dem Kinder, Jugendliche und Erwachsene gemeinsam unter Landeskirchenmusikdirektor Gerhard Bremsteller große kirchenmusikalische Werke aufführten. „Dadurch war mein Lebensweg geprägt“, sagt sie.
Fernstudium in Halle
Sie studierte Kirchenmusik in Halle, arbeitete danach als Bremstellers Assistentin. Nachdem er in den Ruhestand gegangen war, war sie für zwei Jahre Interims-Domkantorin. In diese Zeit fiel die Einführung von Werner Krusche als Bischof der Kirchenprovinz Sachsen. Dazu fand ein Festkonzert unter ihrer Leitung mit Anton Bruckners „Te Deum“ und der Bachkantate „Wir danken dir, Gott, wir danken dir“ statt.
1970 wechselte sie nach Görlitz an die Kreuzkirche. Zusätzlich absolvierte sie ein Fernstudium an der Hochschule für Kirchenmusik in Halle und erwarb dort das große Diplom (A-Abschluss).
Ab 1968 verbrachte sie ihre Sommer als Kurorganistin auf Fischland /Darß. Dort lernte sie Hans-Jürgen Schulz, damals Leiter des Predigerseminars der EKU in Wittenberg, kennen. 1979 wurde sie von der EKU nach Wittenberg berufen. Sie prägte unzählige junge Pastorinnen und Pastoren und versuchte, ihnen deutlich zu machen, in den Kirchengemeinden mit Kirchenmusikern auf Augenhöhe zu arbeiten, Gottesdienste gemeinsam vorzubereiten. Sie unterrichtete Orgel, Liturgisches Singen, Geschichte des Gottesdienstes und Hymnologie (Liedkunde). Jeden Tag wurde von 12 bis 12.30 Uhr „in dem wunderschönen Saal, der heute zum Luther-Museum gehört“, gesungen. Gerade daran können sich viele erinnern, die heute gestandene Pastorinnen und Pastoren sind.
Welcher Satz von Luther sie begleitet
Jedes Jahr besuchten der Direktor, der theologische Studienleiter und sie als Kirchenmusikerin die jungen Pastoren in ihren ersten Pfarrstellen und erkundeten, wie es ihnen ergangen war und bearbeiteten Probleme dann in den Aufbaukursen im Predigerseminar.
Anne-Dore Baumgarten initiierte und begleitete die Restaurierung und Erweiterung der Ladegast-Orgel in der Wittenberger Schlosskirche. Am Reformationstag 1994 wurde durch sie die Orgel wieder eingeweiht.
Ein Satz von Martin Luther im Eingang zum ehemaligen Predigerseminar begleitet sie bis heute: „Niemand lasse den Glauben daran fahren, dass Gott an ihm eine große Tat will.“