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Missbrauchsbetroffene: Kirche in Machtkampf mit uns

“Die Scham muss die Seite wechseln!”, forderte die Missbrauchsbetroffene Astrid Mayer vor der Bundespressekonferenz. Sie hat als Kind in der Diözese Rottenburg-Stuttgart sexualisierte Gewalt durch einen Pfarrer erlebt.

15 Jahre nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche in Deutschland fühlen sich Betroffene noch vielfach unzureichend behandelt. “Wir Betroffenen sehen uns immer noch viel zu oft einer Institution gegenüber, die die Begegnung mit uns nicht nur fürchtet, sondern auch als Machtkampf betrachtet”, sagte Astrid Mayer, Mitglied des Aktionsbündnissen der Betroffeneninitiativen, am Dienstag in Berlin vor der Bundespressekonferenz.

“Die Scham muss die Seite wechseln!”, forderte Mayer. Schämen müssten sich die Täter und die Institution Kirche, die diese geschützt habe. Inzwischen sei “gut belegt”, wozu auch Kleriker fähig seien. “Ich wurde als Kommunionkind Opfer von sexueller Gewalt eines Gemeindepfarrers in der Diözese Rottenburg-Stuttgart”, berichtete Mayer.

Sehr viele Kinder und Jugendliche seien jedoch in der katholischen Kirche “mächtigen und angesehenen Männern ausgeliefert” gewesen. Mayer verwies auf eine Studie des Ulmer Kinderpsychiaters Jörg Fegert zum Dunkelfeld bei sexuellem Missbrauch, die von jeweils 114.000 Betroffenen sowohl für die evangelische als auch die katholische Kirche in Deutschland ausgehe.

Im Januar 2010 waren am Canisius-Kolleg in Berlin zahlreiche Missbrauchsfälle publik geworden. Erst damit wurde der bundesweite Missbrauchsskandal in der Kirche offenbar. “Vor 20 Jahren hätte man mich noch für verrückt erklärt, wenn ich erzählt hätte, was mir geschah”, sagte Mayer.

Doch bei der Aufklärung sei “noch viel zu tun”. Nicht selten seien “Akten gesäubert oder gar nicht erst korrekt geführt” worden, sagte Mayer. Zu oft gehe die Kirche “klärenden Gerichtsprozessen” aus dem Weg, indem “auf Verjährung gepocht” werde – was ein unmoralisches Handeln sei. “Die Taten an mir waren verjährt, als ich 18 Jahre alt geworden bin.” Das sei lächerlich und niederschmetternd.

Mayer mahnte die Bistümer in Deutschland zu einheitlichen Standards bei der Missbrauchsaufarbeitung. Es sei nicht egal, dass sich die 27 Diözesen in Deutschland “mit unterschiedlichen Methoden und unterschiedlichem Aufwand den von ihren Mitarbeitern begangenen Verbrechen” stellten.