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Missbrauchsbeauftragte Claus rügt evangelische Kirche

Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung sieht Defizite im Umgang mit Missbrauchsfällen in der evangelischen Kirche. Die Verfahren seien uneinheitlich. Die EKD will die Verfahren angleichen.

Die Journalistin Kerstin Claus ist seit 2022 die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs
Die Journalistin Kerstin Claus ist seit 2022 die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen KindesmissbrauchsImago / IPON

Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, hat die Aufklärung sexuellen Missbrauchs in der evangelischen Kirche als unzureichend kritisiert. „Noch immer gibt es auch regional Regelungen, wonach Betroffene, die Anerkennungszahlungen beantragen, nicht nur die Taten plausibel machen, sondern auch das institutionelle Versagen nachweisen sollen“, sagte sie der Düsseldorfer Rheinischen Post. Claus forderte: „Das muss dringend geändert werden.“

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) verwies auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) auf die Musterordnung aus dem Jahr 2021, die das Ziel verfolge, die Anerkennungsverfahren in allen 20 evangelischen Landeskirchen vergleichbar zu gestalten. In dieser Musterordnung gebe es ausdrücklich keine Beweislast für die Betroffenen.

EKD setzt auf individuelle Leistungen

Claus kritisierte, dass die Landeskirchen noch immer sehr unterschiedlich vorgingen. So gebe es in der evangelischen Kirche kein übergeordnetes System für Anerkennungszahlungen, wie das bei der katholischen Kirche der Fall ist. Stattdessen unterschieden sich die Musterordnungen der Landeskirchen weiterhin, sagte Claus. Es gebe Landeskirchen, die bei den pauschalen Auszahlungsbeträgen für Betroffene in Höhe von 5.000 Euro geblieben seien.

Die EKD erklärte, bereits 2020 hätten Landeskirchen, die bislang pauschale Anerkennungsleistungen ausgezahlt haben, damit begonnen, auf individuelle Leistungen umzustellen. Betroffene, die in der Vergangenheit eine Pauschalleistung erhalten haben und jetzt eine höhere individuelle Leistung erhalten könnten, seien informiert worden. Die Höhe der Anerkennungsleistungen sei einheitlich in einem grundsätzlichen Rahmen zwischen 5.000 und 50.000 Euro festgelegt worden, anders als in der katholischen Kirche, wo in Einzelfällen auch Zahlungen über 50.000 Euro ausgezahlt werden.

Claus: „Von der katholischen Kirche lernen“

Claus betonte, die evangelische Kirche könne „einiges von der katholischen Kirche lernen“, die nicht zuletzt wegen des öffentlichen Drucks und des Engagements von Betroffenen ein so umfassendes System der Anerkennungsleistungen entwickelt habe. Eine Sprecherin der EKD erklärte, derzeit werde weiter am Thema der Anerkennungsleistungen gearbeitet. Es sei absehbar, dass die Musterordnung nicht der letzte Schritt in diesem Prozess der Vereinheitlichung und Verbesserung sein werde.

Die EKD will im Herbst eine Studie veröffentlichen, die erstmals für den gesamten Bereich der EKD und ihrer 20 Gliedkirchen Fälle von Missbrauch untersucht hat. Sie soll Fallzahlen und begünstigende Strukturen für Missbrauch in der evangelischen Kirche zeigen.

Erzbistum Köln als Negativ-Beispiel

Claus sagte, derzeit gebe es keine andere institutionelle Struktur, die in Ansätzen das erreicht habe, „was für Betroffene in der katholischen Kirche möglich wurde“. Allerdings warf sie auch der katholischen Kirche ein institutionelles Versagen bei der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen vor, wie es sich am Beispiel der Missbrauchsaufklärung im Erzbistum Köln gezeigt habe. Die Frage sei immer: „Will es eine Institution wirklich wissen, will sie Taten wirklich aufklären und in die Aufarbeitung gehen?“