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Mischung aus Drama und Road Movie auf Arte

Via Mitfahrzentrale werden für eine Autofahrt von Berlin nach Paris fünf einander unbekannte Menschen auf engstem Raum zusammen gezwungen. Arte zeigt “More than Strangers”, eine die Mischung aus Drama und Road Movie.

Die meisten Menschen bewegen sich in gesellschaftlichen Blasen. Das geschieht seit einigen Jahrzehnten digital und auch weiterhin im analogen, physischen Alltag. In der marxistischen Annahme, dass das Sein das Bewusstsein bestimme, steckt viel Wahres: Bewusst oder unbewusst umgibt man sich mit seinesgleichen, mit Menschen, deren Lebensweise und Denken man weitestgehend teilt.

Doch was passiert, wenn man sich vorübergehend in eine Zweckgemeinschaft mit gänzlich fremden Menschen begibt? Dieses Szenario spielt Sylvie Michel in ihrem Film “More than Strangers” durch, der Road Movie und klaustrophobisches Sozialdrama in einem ist. Arte zeigt den Film am 22. August um 21.45 Uhr: Fünf Personen finden via Mitfahrzentrale in einer Fahrgemeinschaft zusammen, die sich in Alter, Geschlecht und Herkunft gänzlich unterscheidet. Außer: Alle wollen von Berlin nach Paris reisen.

Der französische Fahrer Patrick (Cyril Gueï), Mitte 40, hat für die Fahrt zwölf Stunden angesetzt. Er hat es eilig, und das aus gutem Grund: Seine hochschwangere Freundin kann jederzeit ihr gemeinsames Kind gebären. Auf dem Beifahrersitz fährt George (Léo Daudin) mit. Er ist DJ, stammt aus Ghana und spricht Französisch. Zunächst schläft er viel, doch dann fällt auf, dass er es vermeidet, in die Nähe von Polizisten zu geraten und bei Zwischenstopps lieber aus- und später wieder einsteigt, um eine Begegnung zu vermeiden.

Der junge Deutsche Chris (Samuel Schneider) tut sich vor allem durch Rauchen, Chillen sowie seine vermittelnde Art hervor. Die Griechin Sophia (Smaragda Karydi) ist nervös, liefert unaufgefordert Kommentare ab und fährt zu ihrem Liebhaber nach Paris. Ehemann und Kinder hat sie hinter sich gelassen. Die fünfte in der Runde ist Julia (Julie Kieffer), die in einem Start-up arbeitet und tippenderweise am Handy hängt.

Ab und zu gibt es unterwegs Pausen, doch nicht alle davon sind geplant. Einmal hält die Polizei den Wagen an und ist offensichtlich auf der Suche nach George, der sich in ein Weizenfeld geflüchtet hat. Auch Sophia wird verfolgt – von ihrem Gatten (Samuel Finzi), der es nicht erträgt, verlassen zu werden.

So gerät der Reiseplan gehörig durcheinander. Allianzen bilden sich, die sich dann wieder verändern. Mal gehen die Nerven durch, dann wieder zeigt man Verständnis füreinander. Schließlich wird offenbar, dass George nicht über eine innereuropäische Grenze fahren darf. Er ist illegal in Deutschland und will sich durch eine Scheinheirat in Paris seinen Aufenthaltsstatus für Europa sichern.

“More than Strangers” kommt im Gewand eines Road Movies daher, will aber mehr. Anhand der fünf Figuren wird ein Querschnitt durch die Bevölkerung westlicher Großstädte gezogen und über Individualität, Solidarität und Selbstverwirklichung reflektiert. Wie in einem antiken Theaterstück sind Zeit (24 Stunden) und Ort (das Auto) begrenzt; die Landschaften neben der Fahrbahn oder die Raststätten erweisen sich als austauschbar. Hier gilt: Der Weg ist das Ziel.

Zunächst befasst sich jeder der Reisenden mit sich selbst, und das ist nachvollziehbar. Ärger in der Beziehung oder im Job sind existenziell; dass dies die Personen beschäftigt, hat zunächst nichts Egoistisches. Heikel wird es, wenn die Schicksale der anderen auf die Reise und deren Planung Einfluss nehmen. Dann erweist sich, ob man sich als aufgeschlossener Großstädter nur tolerant gibt oder ob man tatsächlich solidarisch handelt. So bestimmt das Schicksal von George die Reise bald mehr als die im Vergleich doch harmloseren Probleme seiner Mitfahrenden.

Den Film durchzieht eine Art Countdown. In regelmäßigen Abständen wird die Zeit eingeblendet, die die Fahrgemeinschaft von ihrem Zielort Paris trennt. Das mag zunächst befremdlich anmuten, hat im Nachhinein jedoch seine Berechtigung, da die Zeit vor allem gegen George arbeitet. Auch die ständige Erreichbarkeit der Figuren erschwert die Fahrt, da sie den individuellen wie den kollektiven Stress verstärkt und die allgemeine Stimmung stört.

Dennoch gelingt es “More than Strangers” nicht wirklich, das Publikum mitzureißen oder seinem didaktischen Anliegen einen stilistischen Mehrwert abzugewinnen. Wirklich absurd, komisch oder bedrohlich wird es nie. Oft wirkt der Film gewollt hektisch, wozu der moderne, aber penetrante Soundtrack von Kostantis Papakonstantinou viel beiträgt. Er soll Handlung und Figuren nach vorne treiben; doch das gelingt nicht, weil die Abenteuer auf der Reise nie wirklich fesseln.

So erschöpft sich der Film im Anekdotischen und hält die Figuren meist im Vagen. Niemand wirkt übermäßig anrührend oder aber unsympathisch. Die Figur von Chris wird fast gar nicht umrissen, die anderen tun sich vor allem durch kleinere oder größere launische Anfälle hervor. Richtig zuspitzen will der Film nicht. Das verdeutlicht seinen realistischen Anspruch, aber auch eine gewisse Beliebigkeit. Durch das mangelnde Ambiente erscheint “More than Strangers” als Versuchsanordnung, deren Botschaft klar und löblich sein mag, in ihrer Umsetzung aber nicht so recht zünden will.

Einige Stimmungsbilder und Episoden bleiben dennoch hängen. So atmet der Film durch seine Vielsprachigkeit eine angenehme und realistische Multikulturalität. An der Grenze bekommt es der schwarze Patrick mit rassistischen Zöllnern zu tun, die ihre Macht ausspielen, aber an der Solidarität der Mitfahrer scheitern. Zudem sorgt Samuel Finzi als eifersüchtiger Ehemann, dem plötzlich die Sicherungen durchbrennen, subtil für Erheiterung.